Peter Rastl und Hannes Ametsreiter

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Vor 20 Jahren, am 10. August 1990, wurde das österreichische Internet "geboren". Über eine Standleitung zum Genfer Kernforschungszentrum CERN wurde die Universität Wien permanent mit dem Internet verbunden. Die Datenleistung betrug für damalige Verhältnisse sagenhafte, für heutige mickrige 64 Kilobit pro Sekunde. Den Siegeszug der Online-Verbindung beurteilt der "Vater" des heimischen Internets, Peter Rastl, im Nachhinein als unvorhersehbar: "Mitte der 80er Jahre haben wir noch gar nichts vom Internet gewusst, oder gar seiner kommerziellen Bedeutung."

"Das Internet kommt immer wieder mit Entwicklungen, die die großen Massen nicht vorhersagen können"

Dieser Grundsatz gilt laut dem Chef des Zentralen Informatikdienstes der Uni Wien noch heute. "Das Internet kommt immer wieder mit Entwicklungen, die die großen Massen nicht vorhersagen können", erklärte Rastl am Dienstag bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit der Telekom Austria Group. Dementsprechend futuristisch muten seine Zukunftsprognosen an: "Ich bin überzeugt, in einigen Jahren wird jedes Auto eine Internetadresse haben." Auch Telekom-Generaldirektor Hannes Ametsreiter sieht noch unübliche Verwendungen wie eine Online-Verortung von Tieren oder ein "Internet der Dinge", das Waggons mit ihrer Ladung verbinden könnte, auf Bevölkerung und Wirtschaft zukommen.

Die Österreicher sehen einer marketmind-Umfrage zufolge ebenfalls große Zukunftstrends vorher: 90 Prozent der 506 Befragten glauben an eine virtuelle Partizipation an öffentlichen Prozessen und 67 Prozent an individuelles TV via WorldWideWeb. 60 Prozent sehen das Internet künftig als primäre und offene Wissensplattform und 40 Prozent als Ermöglicher virtueller Einkaufszentren.

Demokratisierung

Derzeit schreite eine Demokratisierung des Internet voran, meinte Ametsreiter. "Immer mehr machen mit, immer mehr werden Produzenten." Die internationale Plattform "Facebook" zähle mittlerweile schon zwei Millionen österreichische Teilnehmer und jeder dritte Internetnutzer veröffentliche an verschiedenen Stellen pro Woche mindestens fünf Online-Beiträge.

Die Bedeutung des ersten Einloggens ins WWW komme der Erinnerung an die erste Mondlandung gleich, erklärte Ametsreiter. "Drei Viertel der Österreicher denken voller Emotionen an den ersten Einstieg ins Internet zurück." Punkto mobiler Internetnutzung sei die Alpenrepublik in Europa mit einem Anteil von 13,8 Prozent mittlerweile führend, der EU-Schnitt liege vergleichsweise bei 4,2 Prozent.

"Das Problem sehe ich darin, dass die Staaten - angestachelt durch 9/11 - beginnen, das Internet einzuschränken"

Für Peter Rast ist das Internet eine Kulturtechnik wie Lesen und Schreiben, der eine ähnliche Bedeutung wie der Erfindung des Buchdrucks zukommt. Entwicklungen hin zur Vorratsdatenspeicherung oder Kinderpornografie-Filtern machen dem Experten derzeit allerdings Angst: "Das Problem sehe ich darin, dass die Staaten - angestachelt durch 9/11 - beginnen, das Internet einzuschränken", betonte Rastl.

"Da verspricht man sich zu Unrecht Erfolge gegen kriminelle Handlungen", ist er überzeugt. "Da würde ich mir gerne wünschen, dass unsere politischen Entscheidungsträger mehr Wissen über das Internet hätten und wüssten, dass solche Methoden nicht helfen." Täter würden sich gut genug auskennen, um die Maßnahmen zu umgehen, gleichzeitig entstehe eine Infrastruktur, "die man ausnützen kann". Gefährliche Nebenwirkungen seien beispielsweise bei Regierungsübernahmen durch Diktatoren zu befürchten. Leider habe man schon ein gutes Stück des Weges zu mehr Kontrolle zurückgelegt.

"Man kann Kinderpornografie damit auch nicht bekämpfen"

Auch Beschränkungen gegen Online-Kinderpornografie hält Rastl für falsch: "Man kann Kinderpornografie damit auch nicht bekämpfen", sagte er. "Aber die Infrastruktur, die man zum Filtern hat, kann verwendet werden, um andere ungewollte Meinungen zu filtern. Vor dieser Entwicklung habe ich Angst." Ein Beispiel für solche Vorgehensweisen sei Saudi-Arabien.

Neben einer Vorratsdatenspeicherung beurteilte der Internet-Pionier auch die strenge Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen als negativ. Dahinter verberge sich eine Reaktion auf das Verabsäumen der Film- und Musikbranche, rechtzeitig auf technische Neuerung einzusteigen, meinte Rastl. Auch künftig stünden unerwartete Internet-Entwicklungen bevor, so würden Provider künftig an Bedeutung verlieren. Ihre Aufgabe, eine größere Bandbreite zur Verfügung zu stellen, sei heute erfüllt.

Derzeit steht für den Erfinder des heimischen Internet die Partizipation der User im Vordergrund. "Wir müssen darauf achten, dass es verträglich für die Gesellschaft bleibt", betonte Rastl gegenüber der APA. Punkto Privatsphäre sei das Problem allerdings die mangelnden Awareness der Nutzer: "Die User stellen ja selbst die ganzen Informationen hinein, die sie auf einer Bahnhofswand vermutlich nicht veröffentlichen würden."

"Ich habe auch einen Facebook-, einen Xing- und einen Linkedin-Account, damit ich weiß, was meine Tochter im Urlaub so treibt"

Trotz alldem ist auch Rastl ein regelmäßiger Besucher verschiedener Online-Plattformen: "Ich habe auch einen Facebook-, einen Xing- und einen Linkedin-Account, damit ich weiß, was meine Tochter im Urlaub so treibt", verriet Rastl über seinen persönlichen Internet-Gebrauch. "Und ich bin ein großer Freund klassischer Musik." Mittels "Youtube" verfolge er die Entwicklungen unbekannter Komponisten.

Das Internet habe bahnbrechende Anwendungen wie Suchmaschinen und Wissens-Datenbanken a la "Wikipedia" ermöglicht. Vor 1990 habe man sich lediglich über eine Einwahlverbindung kurz ins Internet einloggen und Mails lesen bzw. senden könnten, erinnerte sich Rastl. Mit der Installierung einer Standleitung über die Schweiz in die USA im August 1990 wurde schließlich die Übermittlung von Daten möglich, das Einloggen in andere PCs sowie die Bildung von Kooperationen mit anderen Einrichtungen. Das WorldWideWeb sei 1992 zum ersten Mal vorgestellt worden.

Für die Wissenschaft war das Internet laut Rastl zunächst nur eine spannende, interessante Spielerei. Zu einer unentbehrlichen Anwendung entwickelte sich die Online-Welt erst Zug um Zug. Davon zeuge auch eine der ersten Anwendungen einer Salzburger Uni-Professorin, die ihren Kollegen einen Adventkalender präsentierte, dessen Türchen sich online öffnen ließen. (APA)