Graz - Eine dunkle Wand mit einer schummrigen, alten Lichterkette (Bühne: Magda Willi), unter der sich eine Handvoll Menschen abwechselnd setzen, um über ihr verpfuschtes Leben zu grübeln, über Schmerzen zu jammern und düstere Zukunftsvisionen zu entwerfen. Mehr braucht es bei Ingo Berks Inszenierung auf der Probebühne im Grazer Schauspielhaus nicht, um eines der beliebtesten Stücke Anton Tschechows in seinem ganzen Facettenreichtum aufleben zu lassen.

Es ist diese Stimmung der - nicht für das Publikum - lähmenden Sinnlosigkeit, in der die einen für nichts schuften, damit die anderen umsonst ein Leben in Luxus führen können. Nein, es ist natürlich kein Zufall, das Onkel Wanja sechs Jahre vor der russischen Revolution uraufgeführt wurde und der gelernte Arzt Tschechow, der heuer vor 150 Jahren geboren wurde, dieser Gesellschaft einen unheilbaren Zustand attestierte.

Doch neben einer Gesellschafsskizze, die sich heute noch genau so gut lesen lässt, hat die Situation, träge, frustrierte Menschen beim Wodkatrinken auf einem sterbenden Gut zu beobachten, noch einen Zweck. Langeweile fördert zutage, was die Menschen im Innersten bewegt: die Liebe, die Angst, die Einsamkeit und die Trauer über alles, was unwiederbringlich verloren ist. Berk gelingt es, mit einem hervorragenden Ensemble die kleinen und großen Ausbrüche der dahinparlierenden Figuren in sparsames, aber klares Licht zu rücken - mit viele Liebe zum Text.

Es ist ein Vergnügen, wieder einmal den Grand Seigneur des Schauspielhauses, Otto David, in einer größeren Rolle zu sehen. Sein verarmter, demütiger Ilja ist gefühlvoll und glaubhaft - selbst wenn er Hank Williams' I'm So Lonesome I Could Cry anstimmt.

Wenn Sophie Hottinger als schöne Jelena, die als junges Mädchen aus Schwärmerei den mittlerweile pensionierten Professor Alexander Wladimirwitsch Serebrjakow (herrlich saturiert: Gerhard Balluch) geheiratet hat, erschüttert bemerkt, dass es schon September ist, und sie sich fragt, wie sie den Winter überstehen wird, hat sie in einem Satz ihr Leben zusammengefasst. Hottinger macht selbst die gelangweilte Ehefrau, die für das Glück kein Talent hat, aber sich Unglück nicht erlaubt, irgendwie sympathisch.

Doch wäre das Stück eine Castingshow der traurigsten Helden der Dramengeschichte, hätte sie Franz Solar als Wanja für sich entschieden. Nicht nur weil er Mut für eine erbärmliche Version von The First Time Ever I Saw Your Face von Ewan MacColl hat, sondern vor allem für seine Eruption gegen den arroganten Ex-Schwager, der ihm Liebe und Geld nahm. Auch seine Nichte Sonja ist mit der jungen Katharina Klar ideal besetzt. Einzig Florian Köhler gibt den Arzt und Umweltschützer Astrow etwas zu clownesk. (Colette M. Schmidt, DER STANDARD/Printausgabe 25.5.2010)