Künstlich auch von außen: Bakterien mit synthetischem Genom (oben). Unten: normale Bakterien.

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Washington - "Das ist die erste synthetische Zelle, die jemals hergestellt wurde", posaunte Gen-Pionier Craig Venter stolz. Seine Begründung für die großspurige Ansage: Die Zelle habe eine vollständig künstliche Erbsubstanz, die allein nach Informationen aus dem Computer und aus vier verschiedenen Chemikalien hergestellt wurde.

Dem Team um den umstrittenen Forscher-Unternehmer ist damit ein lange angekündigter Durchbruch gelungen, der vor allem aus zwei Pionierleistungen besteht: Einerseits bauten sie ein immerhin aus über einer Million Basenpaaren bestehendes Bakterien-Erbgut. Andererseits konnten sie diese neue Software auch erstmals in einem anderen Bakterium mit dessen Hardware "hochfahren".

Für das Zusammenbauen verwendeten die Bio-Ingenieure einen Trick: Sie schleusten kürzere DNA-Schnipsel in Hefezellen ein, deren Enzyme für das Zusammenbauen sorgten. Anschließend wurde die solcherart hergestellte DNA des Bakteriums M. mycoides in einem anderen Bakterium, M. capricolum, zum Laufen gebracht, wie Venter und Kollegen im Wissenschaftsmagazin Science (online) schreiben.

Für den Gen-Pionier stellt dieses von einem künstlichen Genom gesteuerte Bakterium, das sich auch vermehren kann, "einen wissenschaftlich und philosophisch wichtigen Schritt dar". Und zumindest für ihn selbst habe es die Definition dessen verändert, was Leben ausmacht.

Gemischte Reaktionen

In der internationalen Wissenschaftswelt reagiert man nicht ganz so euphorisch, aber doch beeindruckt von Venters Erfolg. Das britische Konkurrenzmagazin Nature ließ gleich acht Experten zu Venters jüngster Kreation Stellung nehmen. Von einem Durchbruch sprechen die meisten, doch über die tatsächliche Bedeutung - und auch die möglichen Risiken - ist man sich nicht wirklich einig. Schließlich ist die Hardware noch "natürlich".

Ähnlich ambivalent beurteilen auch Experten aus Österreich die erste Zelle mit künstlichem Genom. Für den Mikrobiologen Michael Wagner stellt sie nichts "absolut Neues" dar. Und ob damit "künstliches Leben" geschaffen wurde, wie Venter indirekt behauptet, bleibe für ihn eine offene Frage.

Technikfolgenabschätzer Helge Torgersen, der gerade ein Projekt über synthetische Biologie abschloss, sieht zwar einen wichtigen Durchbruch auf dem Weg zur künstlichen Zelle. Der Weg bis dahin sei aber immer noch weit. Vollmundige Versprechen Venters betreffend mögliche Anwendungen sollte man daher nicht allzu ernst nehmen. (Klaus Taschwer, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21. Mai 2010)