Den regierenden Politikern der EU sitzen die Wähler, die Boulevardblätter und die Opposition im Nacken. Sie kündigen "Jagd auf Finanzhaie", verschiedene Spielarten von Finanztransaktions- und Antispekulantensteuern, europaweite Volksbegehren und auch Vorschläge zur Reform des Regelwerks für die Währungsunion an. Es geht allerdings nicht nur um ökonomische oder finanztechnische Fragen, sondern auch um die Emotionen der Steuerzahler in den (relativ) erfolgreichen Euro-Staaten, die nicht bereit sind, immer neuen Rettungspaketen für die Defizitländer zuzustimmen, und um die Verbitterung, ja Empörung der Bürger in Griechenland, aber auch in Spanien und Portugal, dass wieder einmal die Gewinne privatisiert und die Verluste sozialisiert werden.

Tragen also die internationalen Spekulanten und ihre Hedgefonds, zugleich auch die viel kritisierten Ratingagenturen die Hauptschuld an der Euro-Krise? Niemand bezweifelt die Notwendigkeit neuer Regeln für hoch spekulative Fonds und von Sanktionen für eklatante Verletzungen der strikten Defizit- und Verschuldungsgrenzen des Stabilitätspaktes. Es gab und es gibt freilich eine bisher unüberbrückbare Kluft zwischen Euro-Rhetorik und Euro-Realität. Den Sündenfall hatten ja seinerzeit bekanntlich Deutschland und Frankreich durch die frühe Verletzung der Maastricht-Kriterien begangen.

Wieder einmal hat Deutschlands Ex-Kanzler Helmut Schmidt, heute Herausgeber der Zeit, seinen Finger auf die europäische Wunde gelegt: Es räche sich die Führungslosigkeit der EU und deshalb wurde aus einer Griechenland-Krise eine Euro-Krise. Wer kann heute die Richtigkeit seiner These über den "ungehemmten Größenwahn" bei der Erweiterung des Euroraums auf 16 und der EU auf 27 Staaten bezweifeln?

Seit Schmidts Mahnung und seinem Ruf nach einem engen Schulterschluss zwischen Frankreich und Deutschland (im Interesse des Euro, ihres "gemeinsam gezeugten Kindes" ) ist mittlerweile auch noch der von ihm erwähnte "makellose" Ruf der Europäischen Zentralbank (EZB) durch den jüngsten Tabubruch, nämlich den Ankauf südeuropäischer Staatsanleihen zu jedem Preis, fast völlig ramponiert.

Dass britische und US-Medien, so zuletzt der New York Times-Kolumnist Roger Cohen in einem zynischen und überheblichen Artikel, die Lebensfähigkeit des Euro-Verbundes in Zweifel ziehen, trägt natürlich auch zur Anti-Euro-Spekulation bei. Die Gründe für die Euro-Krise sind alte und neue Sünden der Regierungen: zu hohe Schulden und zu hohe Defizite, wobei keine drastischen Maßnahmen zu deren Beseitigung ergriffen wurden. Die Schlüsselklausel des Währungspaktes, "No bailout" , also das Nichtbeispringen anderer Mitgliedsländer, um in einem vom Bankrott bedrohten Euro-Staat das Feuer zu löschen, existiert nicht mehr, und die EZB-Entscheidungen werden künftig auch von der Einschätzung der Lage durch die jeweils amtierenden Politiker bestimmt. Der Euro werde unter allen Umständen verteidigt, heißt es in Brüssel, Paris, Berlin, und Wien. Wer aber führt Europa in dieser Krise? Für eine Reflexionspause ohne Entscheidungen bleibt kaum Zeit. (Paul Lendvai, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20.5.2010)