Jülich - Bei der Ausgrabung eines altsteinzeitlichen Lagerplatzes nahe Jülich in Nordrhein-Westfalen sind Wissenschafter auf den bislang ältesten in Mitteleuropa gefundenen Klebstoff gestoßen. Das Material ist Birkenpech - nicht nur der Homo sapiens, sondern bereits der Neandertaler verwendete dies bei der Anfertigung von Werkzeugen. Im konkreten Fall handelt es sich um 83 Feuersteinklingen mit deutlich sichtbaren Reste von rund 120.000 Jahre altem Birkenpech, sagte der Archäologe Jürgen Thissen. Mit dem Kleber aus destillierter Birkenrinde seien die schmalen Steinklingen zusätzlich an Speerspitzen befestigt worden, um bei der Jagd die Wunde zu vergrößern.

Vergleichbar uralter Birkenpech-Kleber ist im thüringischen Fundplatz Königsaue entdeckt und auf "nur" rund 80.000 Jahre datiert worden. Zwei weitere verklebte Stein-Werkzeuge aus Mittelitalien sind möglicherweise rund 200.000 Jahre alt, erklärte der beim Landschaftsverband Rheinland und der Uni Bonn tätige Archäologe.

Serielle Produktion

Den unter Luftabschluss bei hoher Temperatur aus Birkenrinde destillierten klebrigen "Ur-Kunststoff" hätten die Steinzeitmenschen zunächst möglicherweise durch Zufall entdeckt. Dann aber sei die nützliche teerartige Masse als wohl ältestes chemisches Produkt mit komplizierten Verfahren absichtlich hergestellt worden, erklärt Thissen als Ausgräber des Lagerplatzes bei Inden-Altdorf im Rheinischen Braunkohlerevier. Der Fund eines über und über mit Birkenpech verschmierten kleineren Sandsteinstücks in dem rheinischen Steinzeit-Camp spreche für einen solchen Kleber-Herstellungsort. Thissen: "Das ist schon sehr einmalig."

Sowohl die Anfertigung der Speere als auch die Herstellung des Klebers "ist eine moderne Technologie, die für dieses Alter überraschend ist", meinte Thissen. Dies spreche für die Leistung einer früh nach Europa gewanderten Form des modernen Menschen. Oder eben auch des Neandertalers, den manche Experten als den eigentlichen Entdecker des Birkenklebers ansehen.

Zahlreiche Fundstücke

Insgesamt seien in dem Lagerplatz rund 700 Steingeräte gefunden worden, von denen viele sehr unterschiedliche Gebrauchspuren aufwiesen, schildert der Wissenschafter. Erstmals in dieser Epoche sei der durch Kieselsäure entstehende typische "Sichelglanz" an einzelnen Feuersteinklingen zu sehen, der durch das Schneiden von Gras oder Farn entsteht. Möglicherweise hätten die Steinzeit-Menschen mit den Pflanzen ihren Schlafplatz gepolstert.

Der Steinzeitkleber wird im Juni als "Fund des Monats" im LVR-Landesmuseum in Bonn vorgestellt. Er soll dort in der neuen Dauerausstellung zur Vor- und Frühgeschichte im Rheinland seinen Platz finden. (APA/red)