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Harte Bandagen unter dem Kardinalspurpur: Wiens Christoph Schönborn "rührt am neuralgischen Zentrum der römischen Machtstruktur" ("FAZ").

Foto: EPA/Roland Schlager

Wien - "Der Wiener Kardinal lässt die römische Kurie erbeben" , schreibt die Frankfurter Allgemeine. Das Time Magazine spricht von einem "Vatican power struggle" und bezieht sich dabei auf Kardinal Christoph Schönborns Auseinandersetzung mit Kardinal Angelo Sodano. Was ist los? Wie kommt der sonst vorsichtige Wiener Kardinal in den Ruf eines vatikanischen Bilderstürmers? "Schönborn hat am neuralgischen Zentrum der römischen Machtstruktur gerührt: dem unter allen Umständen zu wahrenden Konsens der Kurie als Hofgesellschaft des Papstes" , schreibt die FAZ.

Tatsächlich liegt hier ein innerkirchlicher Machtkampf auf höchster Ebene vor: Es geht darum, wie man in der Kirche, vom Vatikan abwärts, mit der Lawine an Missbrauchsfällen umgehen soll. Schönborn führt, zunächst ziemlich einsam, die "Offenheitsfraktion" an; er entschloss sich, den Wortführer der "Vertuschungsfraktion" , den immer noch mächtigen ehemaligen Kardinalstaatssekretär ("Außenminister" des Vatikan), Angelo Sodano, mit unerhörter Schärfe anzugreifen. Die Absicht dabei ist, Papst Benedikt, mit dem ihn eine jahrzehntelange geistige Beziehung verbindet, erstens gegen Vertuschungsvorwürfe zu schützen und zweitens (endgültig) auf die Seite der "Offenheitsfraktion" zu ziehen.

Gespielt wird das über die Medien. Der Ablauf der Eskalation: In der Pressestunde des ORF vom 28. März erklärte Schönborn, im Falle Groër habe der damalige Kardinal Ratzinger eine Untersuchungskommission gewollt, dies sei aber von der "diplomatischen Fraktion" in Rom verhindert worden. Dann, am 4. April, Ostersonntag, richtete Kardinal Sodano bei der feierlichen Ostermesse völlig überraschend das Wort an den Papst und forderte ihn auf, sich von dem "bedeutungslosen Geschwätz" über Missbrauch in der Kirche nicht beirren zu lassen.

"Dringender Reformbedarf"

Hierauf sagte Schönborn am 28. April zu Journalisten, es sei Sodano gewesen, der seinerzeit die Groër-Kommission bei Papst Johannes Paul II. verhindert habe; dass Sodanos jetzige Äußerung eine "massive Verletzung der Missbrauchsopfer" sei und dass "die Kurie dringenden Reformbedarf" habe. Diese Aussagen wurden in einem Bericht des STANDARD zitiert - und auch auf die Website der Kathpress gestellt.

Dort griff sie die Korrespondentin der angesehenen britisch-katholischen Zeitschrift Tablet auf, dann internationale Nachrichtenagenturen, die italienische Zeitung Il Giornale und schließlich Time, die FAZ und andere.

Dieser Macht- oder eher Richtungskampf ist keine Erfindung sensationsgeiler Medien. Sodanos "Osterbotschaft" an den Papst war weniger eine Solidaritätsadresse, sondern eine Aufforderung, kein Weichei zu sein. Der Papst, der lange zu schwanken schien, hat sich jetzt offenbar der "Schönborn-Fraktion" zugeneigt. Auf dem Flug nach Portugal erklärte er: "Die Angriffe gegen den Papst und die Kirche kommen nicht nur von außen, sondern die Leiden der Kirche kommen gerade aus dem Inneren der Kirche, von der Sünde, die in der Kirche existiert."

Schönborn handelte aus einem Mix an Motiven. Er ist persönlich überzeugt, dass in den Missbrauchsskandalen "uns nur die Wahrheit freimachen wird" ; dass Papst Benedikt unfair beschuldigt wird, wenn es um die Behandlung früherer Missbrauchsfälle geht, und dass die Kreml-Informationspolitik nicht mehr funktioniert. Objektiv hat der Wiener Kardinal damit eine Bresche in die vatikanische Mauer des Schweigens gerissen. Öffentliche Kritik am Vatikan kam bisher nur von außen, nun aus dem Kardinalskollegium. (Hans Rauscher/DER STANDARD-Printausgabe, 14.5.2010)