"Bildungschancen sind nicht völlig unabhängig vom Elternhaus gleich verteilt. Einkommensstandards werden nicht so stark vererbt werden wie Bildungsstandards", so Lukas Mandl im Gespräch mit derStandard.at.

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"Es sind nicht materielle Faktoren, sondern pädagogische Faktoren und vor allem soziale Faktoren, die Menschen an einem Studium hindern", so Mandl zum Thema Studiengebühren. 

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Der ÖAAB will sich ein Bildungsprogramm geben. Lange wurde konzipiert, kommende Woche wird es präsentiert. "Jetzt ist die Bildungspolitik nicht zukunftsfähig", so der neue ÖAAB-Generalsekretär Lukas Mandl. Eine Gesamtschule lehnt Mandl im Gespräch mit derStandard.at ab, Studiengebühren seien möglich und Bildungschancen zu sehr abhängig vom Elternhaus. Mandl will verpflichtende Sprachförderung für Kinder mit Defiziten und schreckt auch nicht davor zurück, bei Nicht-Teilnahme die Kürzung von Sozialleistungen anzudrohen.

derStandard.at: Herr Mandl, ÖAAB-Bundesobmann und Außenminister Michael Spindelegger hat sich unlängst das Schulsystem in Skandinavien angesehen. Finnland gilt als Bildungsmusterland, dort gibt es seit Jahrzehnten die Gesamtschule. Findet der ÖAAB nun Gefallen an der Gesamtschule?

Lukas Mandl: Das finnische Schulmodell umfasst sehr viele besondere Merkmale, dazu zählt etwa die besondere Lehrerausbildung, die individuelle Förderung und dass Schüler alle Chancen bis ins hohe Teenager-Alter bekommen. Diese Erfolgsfaktoren kann man jedoch nicht an der Gesamtschule dingfest machen. Die äußeren Rahmenbedingungen sind weniger wichtig als die Frage wie Lehrer auf die Schüler zugehen.

derStandard.at: Sie sagten einmal, dass man weg von dem "starren Modell von Hauptschule und Gymnasium" gehen muss – wohin soll die Reise gehen?

Mandl: Erstens müssen Kinder besser gefördert werden, nicht nur in der Schule sondern auch im Kindergarten. Ich finde es daher absurd, wenn bei der Diskussion um die Budget-Konsolidierung der Gratis-Kindergarten zur Disposition gestellt wird. Es ist völlig falsch, im Kindergarten Beiträge zu verlangen und auf der Universität nicht. Ein weiterer Punkt ist die Sprachkompetenz. 36 Prozent der Kinder mit Migrationshintergrund, aber auch 12 Prozent der Kinder ohne Migrationshintergrund können bei der Einschulung nicht ausreichend Deutsch, um dem Unterricht zu folgen. Das ist ein Alarmsignal. Schulpflicht kann heute nicht mehr nur bedeuten, dass Eltern ihre Kinder in die Schule schicken, sondern bedeutet auch, dass Staat und Gesellschaft verpflichtet sind, Menschen bestmögliche Bildungschancen zu geben. Es gibt sehr wohl eine Vererbung schlechter Bildungsstandards. Bildungschancen sind nicht völlig unabhängig vom Elternhaus gleich verteilt. Einkommensstandards werden hingegen nicht so stark vererbt werden wie Bildungsstandards. Das wollen wir überwinden.

derStandard.at: Um Sprachdefizite zu beseitigen, fordern Sie verpflichtende Sprachförderung für Kinder. Bei Nicht-Teilnahme können Sie sich durchaus auch den Entzug von Sozialleistungen vorstellen. Bestraft man hier nicht die falschen: die Kinder?

Mandl: Ich hoffe, dass niemand bestraft werden muss. Erfahrungen zeigen, dass Sanktionsmechanismen dazu führen, dass sie nicht genutzt werden. Wenn eine Sanktion im Raum steht, werden sicher mehr als 90 Prozent die Kinder in den Sprachunterricht schicken. Ein Beispiel: Der Mutter-Kind-Pass schreibt gewisse Untersuchungen vor. Wenn diese nicht erfüllt werden, werden Transferleistungen gekürzt oder ganz gestrichen. Was ist die Folge? So gut wie alle erfüllen diese Untersuchungen, und so gut wie keine Sozialleistung muss gestrichen werden. So wird es auch bei den Sprachförderungen sein.

derStandard.at: Zu den Hochschulen: Was läuft an Österreichs Universitäten falsch?

Mandl: Ich glaube, es gibt überlaufene Studien, wo der Lehrbetrieb in Qualität und Quantität nicht in dem Maß möglich ist, wie es im Sinne der Studierenden oder der Wissenschaft wäre. Regeln in irgendeiner Form sind hier unbedingt notwendig. Eine Möglichkeit sind Studiengebühren. Studienbeiträge dürfen nicht dazu führen, dass man nicht studieren kann. Ich glaube, das haben sie auch in der Vergangenheit nicht. Studiengebühren tragen aber zur Finanzierung der Universitäten bei. Derzeit zahlen Steuerzahler, die kein Studium haben, in einem sehr großen Ausmaß die Löcher, die durch die Abschaffung der Studiengebühren entstanden sind. Ein weiterer Effekt ist, dass Studiengebühren dazu führen, dass der Wert einer universitären Ausbildung erkannt wird.

derStandard.at: Führen Studiengebühren und Zugangsbeschränkungen nicht dazu, dass sich auch hier Bildungsstandards vererben?

Mandl: Das glaube ich nicht. Es sind nicht materielle Faktoren, sondern pädagogische Faktoren und vor allem soziale Faktoren, die Menschen an einem Studium hindern. Wenn jemand aus materiellen Gründen nicht studieren könnte, muss es entsprechende Beihilfen geben, wie es auch in der Vergangenheit der Fall war.

derStandard.at: Sie waren in ihrer Schulzeit auch in einer Schule, die auf Integration von Menschen mit Behinderung setzt. Durch die UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderung hat sich Österreich zu integrativer Bildung verpflichtet. Sollen Sonderschulen abgeschafft werden?

Mandl: Die Bedürfnisse von Kindern mit besonderen Bedürfnissen sind völlig unterschiedlich, je nach Art und Schwere der Behinderung. Es wäre völlig falsch, alles über einen Kamm zu scheren. Ich habe es in meiner Schule als sehr bereichernd empfunden, dass wir alle in einer Klasse waren, doch entscheidend ist, dass Menschen mit besonderen Bedürfnissen in keinem Lebensbereich an den Rand gedrängt werden.

derStandard.at: Sie haben die Schulpolitik von Unterrichtsministerin Claudia Schmied als Fleckerlteppich kritisiert, die neue Mittelschule sei unausgereift. Warum ist Bildungspolitik so ideologisch behaftet?

Mandl: Sie ist nur von einer Seite ideologisch. Das ist es, was wir zu überwinden versuchen. Die SPÖ macht nur kleine Schritte in der Schul- und Bildungspolitik, manche davon sind Rückschritte. Die Herausforderungen liegen in der sozialen und in der sprachlichen Kompetenz. Das ist mir viel wichtiger, als ob an Universitäten Studiengebühren gezahlt werden oder nicht. Alles, was derzeit unternommen sind, sind Schulversuche, deswegen ist die Politik der Ministerin ein Fleckerlteppich. Manche Schulen bekommen Schulversuche zugesprochen, in diese Schule fließt dann mehr Geld als beispielsweise in die Nachbarschulen. Wir schaffen überhaupt keine Verlässlichkeit darüber, was in den Schulen gemacht wird. Jetzt ist die Bildungspolitik nicht zukunftsfähig. Das werden wir mit einem modernen und überzeugenden Konzept zu ändern versuchen. (seb, derStandard.at, 11.5.2010)