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Die spanische Ratsvorsitzende Elena Salgado erklärte nach der elfstündigen außerordentlichen Sitzung der EU-Finanzminister in Brüssel, Ziel sei es gewesen, einen Stabilisierungsmechanismus für die Eurozone zu schaffen (im Bild mit Olli Rehn).

Foto: REUTERS/Thierry Roge

Der 750 Milliarden Euro umfassende Rettungsring der Union und des Internationalen Währungsfonds, der in der Nacht auf Montag in Brüssel beschlossen wurde, hat ein Kursfeuerwerk an den Aktienmärkten ausgelöst. In Europa notierten die wichtigsten Titel - gemessen am Leitindex Euro-Stoxx-50 - knapp zehn Prozent im Plus. Der Wiener ATX schloss um 9,1 Prozent höher.

Für große Erleichterung sorgte das Hilfspaket in hochverschuldeten Ländern wie Griechenland, Spanien und Portugal, wo die Verzinsung von Staatsanleihen in der letzten Woche sprunghaft angestiegen ist: Die Renditen, an denen die Kosten der Finanzierung gemessen werden, gaben deutlich nach. Nur kurz währte hingegen die Erholung des Euro, der zunächst um fast drei Prozent auf knapp 1,31 Dollar zulegte, dann aber den Gewinn wieder abgab.

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Brüssel - Es ist 2.15 Uhr in der Nacht auf Montag, als Finanzminister Josef Pröll einen Presseraum im Brüsseler Ministerratsgebäude betritt, um die Einigung auf ein 750 Milliarden Euro schweres Hilfspaket zur Absicherung der Währungsunion zu erläutern. In Asien haben die ersten Börsen bereits geöffnet. Das ursprüngliche Ziel, rechtzeitig ein "starkes Signal" gegen die andauernde Spekulation der Märkte gegen die Eurozone zu setzen, bevor der Handel nach dem Wochenende wieder losgeht, hatten die 27 EU-Finanzminister also bereits verfehlt.

Eine Beruhigung des "Wolfsrudels" der Spekulanten, die die Schwächsten zu Tode hetzen, wie Schwedens Anders Borg sagte, hatten die Staats- und Regierungschefs ihnen aufgetragen.

Doch Pröll konnte Entwarnung geben: "Die Einigung heißt: Es werden bis zu 500 Milliarden Euro zusammengestellt: 60 Milliarden im EU-Finanzrahmen, 440 Milliarden durch Garantien der Eurostaaten. Letzteres "war der härteste Punkt". Etwas später stellte sich heraus, dass der Internationale Währungsfonds (IWF) zusätzlich 250 Milliarden Euro bereitstellt.

Hinter den sachsprachlichen Ausführungen verbarg sich freilich ein bis dahin gut gehütetes Geheimnis: Die Krisensitzung hätte kurz davor beinahe in einer Katastrophe geendet. Erst im letzten Augenblick hatte Deutschland eingelenkt. Das mächtigste Euroland, ohne das keine substantielle Hilfsaktion möglich ist, war zuvor mit einem eigenen Vorschlag gescheitert. Eine Kerngruppe der kleinen Euroländer mit Slowenien, Belgien, Slowakei oder Luxemburg hatte sich dagegengestemmt. Auch Österreich. Das "Berliner Modell", das Kanzlerin Angela Merkel mit Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy zusammengestellt hatte, hätte für die Kleinen einen explosionsartigen Anstieg der Staatsverschuldung bedeutet.

Die 440 Milliarden Euro hätten - im Notfall - in Form von bilateralen Krediten aufgebracht werden sollen. Allein Österreich hätte also budgetär Vorkehrungen treffen müssen, in eigenem Namen fast 13 Milliarden Euro Kredit aufnehmen zu können. Durch das Veto drohte für zwei bange Stunden das große Scheitern.

Aber davon konnte die Öffentlichkeit nicht Notiz nehmen. Aus dem gut abgeschirmten Sitzungssaal drangen bis zuletzt nur wenige gesicherte Informationen durch. Das Treffen hatte zunächst mit 30 Minuten Verspätung um 15.30 Uhr begonnen, weil die EU-Kommission mit ihrem Vorschlag noch nicht fertig war.

Dieser sah vor, dass sie selber aus EU-Budgetreserven einen neuen Topf für eine Zahlungsbilanzhilfe auch für Eurostaaten einrichtet, so wie er für EU-Länder außerhalb der Währungsunion existiert. 60 Milliarden sollte er umfassen - was am Ende auch akzeptiert wurde.

Durch Garantien der EU-Staaten wollte die Kommission aber auch in die Lage versetzt werden, auf den Märkten insgesamt bis zu 600 Milliarden an Hilfskrediten aufzutreiben. Der Vorschlag wurde nicht alt. Der deutsche Staatssekretär Jörg Asmussen sagte kategorisch Nein dazu.

Niemals würde Deutschland zustimmen, dass eine solche Summe gemeinschaftlich verwaltet würde. Das wären genau jene "Eurobonds", die Paris seit jeher will, und die im Land der früheren starken D-Mark gefürchtet waren.

Zu diesem Zeitpunkt hatte die Sitzung bereits Böses ahnen lassen. Finanzminister Wolfgang Schäuble, Zentralfigur im Krisenmanagement, musste nach einem Schwächeanfall dringend ins Spital eingeliefert werden. An seiner Stelle musste nun erst einmal Innenminister Thomas de Maizière eingeflogen werden. Gegen 22 Uhr überraschte de Maizière die kleinen Euro-Partner mit dem deutschen Vorschlag von bilateralen Krediten. Österreicher, Slowenen, Belgier, Luxemburger sind geschockt. "Das war inakzeptabel", schildert Pröll später diesen Moment, "wir könnten uns eine solche Neuverschuldung nicht leisten. Da hat es eine klare Aussprache gegeben".

Keine Mätzchen mehr

Die Euro-Experten suchen nach Alternativen, ersinnen eine Kompromisslösung: Die 440 Milliarden Kredit sollen weder von der Kommission noch bilateral von den Staaten direkt aufgenommen werden, sondern von einem Dritten, einer "Zweckgesellschaft", die das Geld für Kredite im Notfall von den Märkten aufnimmt. Die Euro-Staaten liefern die nötige Garantie.

"Es war da am Schluss eine Stimmung, wo alle wussten, dass man jetzt keine Mätzchen mehr machen kann", resümierte Pröll Montag erleichtert: Kredit oder Garantie - dazwischen lagen Montagnacht ganze Eurowelten. (Thomas Mayer aus Brüssel, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 11.5.2010)