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Haben sie, oder haben sie nicht? Das war eine der Fragen. Svante Pääbo fand in der Neandertaler-DNA die Antwort.

APA/MPG/Frank Vinken

Leipzig/Wien - Sie haben es also doch miteinander getrieben, vermutlich nicht allzu häufig, aber genetisch nachhaltig. Bislang gab es nur vage Vermutungen, dass sich unsere Vorfahren mit unseren nächsten Verwandten, den vor 30.000 Jahren ausgestorbenen Neandertalern, gepaart haben könnten. Nun ist es bewiesen - und das ist die eigentliche Sensation des heute veröffentlichten Entwurfs der Neandertaler-Gensequenz.

Einer, der davon am meisten überrascht war, ist Svante Pääbo, Paläogenetikpionier und Hauptbetreiber des vor vier Jahren begonnenen Projekts. Der Direktor des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig konnte und wollte es lange selbst nicht glauben, wie er bei einer Telefon-Pressekonferenz am Mittwoch gestand. Doch dann hätten ihn die Daten und die Kollegen endgültig davon überzeugt.

Die Beweise finden sich in den drei Milliarden Basenpaaren, die das Forscherteam um Pääbo, Richard Green von der kalifornischen Universität in Santa Cruz und David Reich von der Harvard Medical School aus rund 400 Milligramm Neandertaler-Knochen rekonstruiert haben. Entnommen wurde das Material vor allem den Schienbeinen dreier weiblicher Neandertaler aus dem heutigen Kroatien.

Viel gemeinsame DNA ... 

Die drei Milliarden Basenpaare sind zwar nur 60 Prozent der gesamten Erbsubstanz. Doch im Vergleich mit den vollständig sequenzierten Genomen fünf heute lebender Menschen aus Europa, Asien und Afrika sowie im Vergleich zum Schimpansen-Genom helfen sie, einige der spannendsten Fragen der Anthropologie zu beantworten: Worin liegen die genetischen Gemeinsamkeiten zwischen dem Neandertaler und uns? Welche Unterschiede machen uns Menschen zu Menschen? Und eben: Hatten unsere Vorfahren Sex mit den Neandertalern?

Laut den neuen Genom-Analysen, die in der heutigen Ausgabe des US-Wissenschaftsmagazins Science (online) veröffentlicht werden, dürften ein bis vier Prozent der DNA der heute lebenden Menschen vom Neandertaler stammen - freilich mit einer großen Ausnahme: "Jene Menschen, die südlich der Sahara leben, weisen keine Spuren der Neandertaler-DNA auf", so Svante Pääbo. Mit anderen Worten, die ewig gestrigen Rassisten wenig gefallen werden: In den Europäern steckt einiges vom Höhlenmenschen, in den Afrikanern nicht.

Unsere ausgestorbenen Verwandten hinterließen aber auch bei Ostasiaten und Menschen aus dem pazifischen Raum ihre genetischen Spuren, was insoferne überrascht, weil in Ostasien noch nie Neandertaler-Relikte gefunden wurden. Für Pääbo ist das freilich leicht erklärbar: "Die Neandertaler vermischten sich mit dem modernen Menschen wahrscheinlich, bevor sich Homo sapiens weiter aufspaltete und sich über den Globus ausbreitete." Diese Vermischung dürfte demnach vor 50.000 bis 100.00 Jahren im Nahen Osten geschehen sein, wo moderne Menschen und Neandertaler zeitlich überlappend lebten.

... und unterschiedliche Gene

Mithilfe des Neandertalergenoms gelang es den Forschern auch, die erste Version eines Katalogs genetischer Merkmale zu erstellen, die in allen Menschen unserer Zeit vorhanden sind, bei Neandertalern jedoch fehlen. In solchen möglichen Anhaltspunkten für eine positive Selektion kurz nach der Trennung der beiden Spezies vor 300.000 bis 400.000 Jahren liegt für Pääbo die zweite faszinierende Aspekt des Projekts.

Insgesamt fanden sie "nur" 212 Genom-Regionen mit Abweichungen dieser Art, darunter befinden sich drei Gene, die sich nach der Mutation auf die geistige und kognitive Entwicklung auswirkten. Diese Gene haben mit Down-Syndrom, Schizophrenie und Autismus zu tun.

Unter den anderen 20 Regionen auf dieser Liste befand sich auch ein Gen, das beim Energiemetabolismus eine Rolle spielt, sowie ein weiteres, das die Entwicklung des Schädelskeletts, des Schlüsselbeins und des Brustkorbs beeinflusst. Diese Gene haben die Aussichten des frühen Menschen auf ein Überleben oder Fortpflanzen wohl auf irgendeine Weise verbessert. Auf welche Weise genau, muss erst noch erforscht werden. (Klaus Taschwer, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7. Mai 2010)