Die Aussicht, dass der Irak wie geplant ein neues Parlament und eine neue Regierung hat, bevor die US-Armee ihre Kampftruppen aus dem Land abzieht - wobei "Jahresmitte" auf Amerikanisch bereits "August" bedeutet -, wird mit jedem Tag geringer. Erst wenn offizielle Wahlergebnisse vorliegen, kann sich das neue Parlament konstituieren, der Staatspräsident gewählt und der Auftrag zur Regierungsbildung erteilt werden.

Das politische Vakuum ist schlimm genug. Noch schlimmer wird es jedoch werden, wenn eine der beiden Seiten - je nachdem, wer zum Sieger erklärt wird - das Wahlergebnis nicht anerkennt. Dieses Skript ist bereits geschrieben. Malikis wütendes Ringen um den ersten Platz wird, falls er sein Ziel erreicht, alle antiiranischen, antischiitischen, arabisch-nationalistischen und säkularen Kräfte des Irak in die Opferrolle eines Dolchstoß-Szenarios drängen. Das sunnitische Ausland, allen voran Saudi-Arabien, wird sie darin bestärken.

Wenn der Sieg bei Allawi bleibt, dann heißt das Stück bei seinen Gegnern "Rückkehr des Baathismus durch Wahlfälschung" oder "Und wieder wurde den Schiiten ihr legitimes Recht auf Herrschaft verweigert". Das ist ein uraltes schiitisches Motiv - wobei der benachbarte Iran nicht so sehr aus religiösen als aus regionalpolitischen Gründen nicht damit einverstanden sein wird. Und auf beiden Seiten schlägt wieder die Stunde der Extremisten. (Gudrun Harrer/DER STANDARD, Printausgabe, 5.5.2010)