Wien - Wäre es ihm um das Aufstellen eines Pechrekords gegangen - Staatsoperndirektor Ioan Holender hätte nicht effektvoller inszenieren können, was ihm der Zufall nach und nach zu bescheren geruhte: Nach Tenor Rolando Villazon musste auch Dirigent Mariss Jansons absagen. Und auch Mezzo Elina Garanca (als Carmen) zog es vor, nicht erscheinen zu können. Es blieb somit allein an Anna Netrebko (gewohnt klangvoll als Micaela), daran zu erinnern, dass die alte Carmen-Version von Franco Zeffirelli zum Schauplatz eines exquisiten Sängertreffens hätte werden sollen.
Bei so viel Ausfallspech steigt andererseits natürlich auch die Wahrscheinlichkeit für eine angenehme Überraschung. Dass sie unter dem Namen Andris Nelsons auftauchen würde, war zwar voraussehbar. Es wirkte dann aber doch erstaunlich, wie präsent der junge Lette (er ist Chef des City of Birmingham Symphony Orchestra) das gut disponierte Staatsopernorchester klingen ließ, wie viel Schattierungen er dieser schillernden Partitur zu entlocken vermochte.
Natürlich merkte man diesem virtuosen Dauerfurioso, das bisweilen in Konflikt mit den Sängern geriet, an, dass Nelsons noch so etwas wie die "Gelassenheit in der Ekstase" fehlen dürfte, um den sanfteren Passagen geschmeidig zum Durchbruch zu verhelfen. Dennoch: Dieser Dirigierbeitrag ließ den Staatsopernalltag weit hinter sich - leider ohne auch die Hauptdarsteller "mitnehmen" zu können.
Das war allerdings keine Katastrophe. Nadia Krasteva ertanzte eine solide, ausgelassene Carmen, die über ein angenehm dunkles Timbre verfügte. Es wirkte zwar etwas unstet ob der etwas groben Zwischentöne. Aber Krasteva verstand es, das mitunter Unberechenbar-Herbe ihrer Stimme als integralen Teil der wilden Rollengestaltung zu vermitteln.
Und wild war sehr wichtig. Schließlich galt es, Massimo Giordano Paroli zu bieten. Er ließ Don José als Eifersüchtler erscheinen, der auch in Momenten der Zärtlichkeit brodelte, als wollte er seine Herzensdame gleich erwürgen. Giordano hätte also der Hilfe eines Regisseurs bedurft, um sein Überengagement etwas einzubremsen. Im Vokalen? Da beeindruckten einige dramatisch strahlende hohe Töne. Darunter jedoch ernüchtertes, fahles Timbre und ein steifer Umgang mit Dynamik. Poesie und Schmelz hatten da kaum eine Chance.
Opernalltagstauglich war das aber allemal. Wie auch das solide Wirken des restlichen Ensembles, aus dem Adrian Eröd (als Morales) hervorstach. (Ljubiša Tošić, DER STANDARD/Printausgabe, 05.05.2010)