Seabear: "We Built A Fire" (Morr Music/Hoanzl 2010)

Foto: Morr

Unsere Helden bei der Haubenparade.

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Staub wurde aufgewirbelt. Wir erinnern uns: Bankenkrachen, Topfklopfproteste, minütliche Bulletins über den Zustand umgewolkter heimischer und ausländischer Lufträume. Möglicherweise wurde gar revolutionäres Potenzial freigesetzt. Sollte der Spuckberg auch noch den Sommer verhauen und durch einen vulkanoiden Winter ersetzen, ist alles möglich, denn bei seinem Ferienwetter kennt der Europäer keinen Spaß.

Dass sich Sindri Már Sigfússon, Gudbjörg Hlin Gudmundsdottir, Ingibjörg Birgisdóttir, Halldór Ragnarsson, Örn Ingi Ágústsson, Kjartan Bragi Bjarnason und Sóley Stefánsdóttir von solcherlei anfechten lassen könnten, ist jedoch kaum vorstellbar. Zumindest wenn sie selbst auf ihrer für das alles verantwortlichen Insel genauso entspannt wandeln, wie die Musik klingt, die dort in wertbeständiger Heimarbeit im mit Apfelkartonage beklebten Souterrain-Studio zusammengedrechselt wird.

Unter dem Namen Seabear veröffentlichte das Kollektiv 2010 sein zweites, We Built A Fire betiteltes, Album.  Für auf Airports Ausgesetzte ebenso uneingeschränkt empfehlenswert wie für Fußballer auf Feindfahrt im Bus. Der FC Barcelona wäre vermutlich in Mailand leichtfüßiger aufgetreten, hätte statt dem in diesen Kreisen sonst bevorzugtem Hiphop-Gepose oder Metal-Gehabe eben exquisiter isländischer Countryfolkindiepoprock die zwei Tage on the road bereichert.

Neben Rekorden wie der höchsten Zahl an Bücher-Neuerscheinungen proportional zur Bevölkerungszahl und der klaren Führung im Medaillenspiegel der "Spiele der kleinen Staaten von Europa", dürfte unter den 300.000 Isländern wohl auch die größte Popstar-Dichte der Welt aufzufinden sein. Sigfúrsson und seinen Mitstreiterinnen wäre so ein Status durchaus zu gönnen, doch wahrscheinlich fehlt dafür Exzentrik und Zugewandtheit zur Außenwelt. Wobei das so vielleicht gar nicht stimmt, ist doch Seabear netzgemeinschaftlich äußerst rührig und somit möglicherweise immerhin - also auch eigentlich - virtuell berühmt. Umtriebig ist man auch sonst, alle Bandmitglieder sind auch anderweitig künstlerisch aktiv. Birgisdóttir, auch im restlichen Leben Partnerin von Sigfússon, ist etwa für das gesamte Artwork zuständig und gestaltet die bunt-naiven Videowelten - ein Markenzeichen von Seabear und besonders beliebt bei Menschen, die sich mit dem Erwachsenwerden ein bisschen schwertun.

Sigfússon, ursprünglich Agent der Unternehmung, säuselt mehr, als er singt. Man könnte das angeraute Hauchen eintönig nennen, doch die variantenarme Gleichförmigkeit hält Songs wie Album zusammen. Um seine Stimme dreht sich alles andere. Der Strom der Worte umschmeichelt sanft die Gestade und beharrt auf einer heimeligen Grundstimmung, auch wenn es instrumentell einmal schroffer wird - was aber ohnehin nicht allzu oft der Fall ist. Macht er gerade nicht Musik, schiebt Sigfússon vermutlich gerade einen Kinderwagen durch Reykjavik oder spielt mit Legosteinen.

Für Akzentuierung und gelegentliche Dramatisierung werden folgerichtig weibliche Zweit- und Drittstimmen eingesetzt. Sie sind für die manchmal notwendige verbindliche Klarheit zuständig. Da sich beim Hören von Seabear-Musik unmittelbar eine Art Vertrautheit einstellt, fällt ihre reiche Textur zunächst gar nicht so auf. Doch da gibt es delikate Tempowechsel, wird kammermusikalische Melancholie von tanzmusikalisch Hüpfbarem kontrastiert. Bei einem derartigen Personalstand und einem entsprechenden Instrumentenpark ist das auch durchaus folgerichtig.

Manchmal raunt und gluckst es naturnah, doch ein elektrisch verstärktes Gitarrensolo (Softship!) ist auch erlaubt. Auf We Fell Off The Roof plätschert gar eine eine isländische Moldau, obwohl doch von bedeutenden insularen Flüssen gar nichts bekannt ist.  Klagende Streicher wandeln sich zu lebhaftem Gefiedel. Komplett mit einem aus den 80ern auferstandenem Gitarrensound und durchgepeitschtem Beat erinnert das gar an die "Waterboys" (Wolfboy). Bloß die Pathetik von deren Mastermind Mike Scott fehlt. Der Walzer von In Winters Eyes borgt sich eben einmal das Thema von Dylans Lady Lay Lay.

Das alles ruht auf dem Fundament nordischer Gelassenheit, strahlt Aufgehobenheit und Heiterkeit aus. Die Geheimnisse haben nichts Bedrohliches. Experimentierfreude trifft auf ein Stilbewusstsein, das man den stylingaffinen jungen Menschen auch optisch sofort ansieht. Rock- und Country-Einflüsse erweitern auf dem vorliegenden Werk das bisher bekannte Arsenal - was vielleicht damit zusammenhängt, dass diesmal alle Damen und Herren am kreativen Prozess ausführlich beteiligt waren. Dass sich das Septett auf seinem Facebook-Eintrag als "Islands Antwort auf Fleetwood Mac" bezeichnet, sollte keinesfalls abschrecken. Querflöte muss nicht befürchtet werden. (Michael Robausch)