Erstmals seit seiner Festnahme im Herbst 2009 wendet sich Regisseur Roman Polanski an die Öffentlichkeit: Da er seine Gesamtstrafe bereits 1977 verbüßt habe, gebe es keinen Grund für seine Auslieferung. Übersetzung von Michael Bischoff.

 

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Seit sieben Monaten, seit dem 26. September 2009, dem Tag meiner Festnahme auf dem Flughafen Zürich, wohin ich mich begeben hatte, um aus den Händen eines Vertreters des Schweizer Kulturministeriums einen Preis für mein Lebenswerk entgegenzunehmen, habe ich mich einer eigenen Stellungnahme enthalten und meine Anwälte gebeten, ihre Äußerungen auf das Notwendigste zu beschränken. Ich wollte, dass die Justizbehörden der Schweiz und der Vereinigten Staaten und meine Anwälte ihre Arbeit ohne jede Polemik meinerseits tun konnten.

Nun habe ich beschlossen, mein Schweigen zu brechen und mich ohne Vermittler direkt und mit meinen eigenen Worten an Sie zu wenden. Wie jeder von uns habe ich in meinem Leben Dramen und Freuden erlebt, und ich werde Sie nicht um Mitleid mit meinem Schicksal bitten. Ich möchte nur wie alle anderen behandelt werden.

Es stimmt, vor dreiunddreißig Jahren habe ich mich schuldig bekannt und im Staatsgefängnis von Chino, das kein VIP-Gefängnis ist, eine Strafe verbüßt, die eigentlich die Gesamtstrafe darstellen sollte. Als man mich aus dem Gefängnis entließ, änderte der Richter seine Meinung und erklärte, die in Chino verbüßte Haft sei nicht die Gesamtstrafe. Wegen dieses Rückziehers verließ ich damals die Vereinigten Staaten.

Aus ihrem Schlaf geweckt wurde die ganze Sache durch eine Regisseurin, die einen Dokumentarfilm drehen wollte und dazu Aussagen von damals Beteiligten sammelte, ohne dass ich selbst aus der Nähe oder aus der Ferne daran mitgewirkt hätte. Diese Dokumentation brachte ans Licht, dass ich die Vereinigten Staaten verlassen hatte, weil ich nicht gerecht behandelt worden war. Und sie löste die Reaktion der Justizbehörden in Los Angeles aus, die sich angegriffen fühlten und sich zu einem Auslieferungsgesuch an die Schweiz entschlossen, wo ich mich seit mehr als dreißig Jahren immer wieder aufgehalten hatte, ohne jemals die geringste Befürchtung zu hegen.

Heute kann ich nicht länger schweigen, weil die amerikanischen Justizbehörden unter Missachtung aller Argumente und Zeugenaussagen Dritter beschlossen haben, nicht in Abwesenheit gegen mich zu verhandeln, obwohl das Berufungsgericht genau dies empfohlen hatte.

Bitte des Opfers abgewiesen

Ich kann nicht länger schweigen, weil das kalifornische Gericht zum x-ten Mal die Bitte des Opfers abgewiesen hat, die Strafverfolgung gegen meine Person ein für allemal einzustellen und selbst nicht immer wieder bedrängt zu werden, wenn der Fall erneut aufgerollt wird.

Ich kann nicht länger schweigen, weil eine wesentliche Tatsache ihre Bestätigung gefunden hat: Am 26. Februar diesen Jahres erklärte Roger Gunson, der 1977 die Anklage vertrat und sich heute im Ruhestand befindet, in Anwesenheit des heute zuständigen Staatsanwalts David Walgren, der ausreichend Zeit hatte, diesem Zeugen zu widersprechen und ihn zu befragen, vor der Richterin Mary Lou Villar unter Eid, Richter Rittenband habe am 19. September 1977 gegenüber allen Parteien erklärt, dass meine Haftzeit im Gefängnis von Chino die Gesamtstrafe sei, die ich zu verbüßen hatte.

Ich kann nicht länger schweigen, weil das Auslieferungsgesuch an die Schweiz auf einer Lüge basiert. In seiner Aussage vom 26. Februar erklärte Staatsanwalt Roger Gunson, es sei eine Unwahrheit, wenn behauptet werde, wie der gegenwärtig zuständige Staatsanwalt dies in seinem Auslieferungsgesuch tut, die in Chino verbüßte Haft sei nicht die im damaligen Urteil verhängte Gesamtstrafe gewesen.

Im Auslieferungsgesuch heißt es, ich sei geflohen, um mich einer Verurteilung durch die US-Justiz zu entziehen, während ich mich in Wirklichkeit nach dem amerikanischen Strafprozessrecht "schuldig bekannt" hatte und in die Vereinigten Staaten zurückgekehrt war, um die Strafe zu verbüßen. Damals galt es nur noch, diese Übereinkunft vom Gericht bestätigen zu lassen, bevor der Richter sie zurückzog, um sich auf meine Kosten die Aufmerksamkeit der Medien zu sichern.

Meineidiger Richter

Ich kann nicht länger schweigen, weil meine Anwälte mir seit dreißig Jahren sagen, der Richter habe mich hintergangen, er sei meineidig geworden, und ich hätte meine Strafe verbüßt. Der damalige Staatsanwalt, der einen untadeligen Ruf genießt, habe alle meine Angaben unter Eid bestätigt, und das sei von ganz anderer Tragweite.

Ich kann nicht länger schweigen, weil heute dieselben Ursachen dieselben Wirkungen zeitigen und der neue Staatsanwalt, der sich um meinen Fall kümmert und die Auslieferung beantragt hat, sich gleichfalls im Wahlkampf befindet und die Aufmerksamkeit der Medien benötigt. Ich kann nicht länger schweigen, weil die Vereinigten Staaten weiterhin meine Auslieferung verlangen, und das mehr, um mich den Medien der ganzen Welt zum Fraß vorzuwerfen als um ein Urteil zu vollstrecken, über das schon vor dreiunddreißig Jahren eine Übereinkunft erzielt worden ist.

Ich kann nicht länger schweigen, weil man mich in Gstaad unter Hausarrest gestellt hat, gegen Zahlung einer Kaution, die ich nur aufbringen konnte, indem ich eine Hypothek auf die Wohnung aufnahm, die ich dort seit mehr als dreißig Jahren bewohne, und weil ich fern von meiner Familie bin und nicht arbeiten kann.

Das ist es, was ich Ihnen sagen wollte. Ich hoffe, die Schweiz wird einsehen, dass es keinen Grund für eine Auslieferung gibt, sodass ich in Frieden und als freier Mann in mein Land und zu meiner Familie zurückkehren kann.