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Eine Sache, über die lieber nicht berichtet werden sollte: die US-Invasion in Kuba 1961. Der Mann, der links vom Panzer springt, ist übrigens Fidel Castro.

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David Dadge ist Direktor des International Press Institute.

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STANDARD: Bei einer anderen österreichischen Zeitung hatte ich einmal einen Arbeitsvertrag, in dem stand, ich solle "tunlichst darauf Rücksicht nehmen", dass die Zeitung von Werbung lebt und eine "wohlwollende PR-Berichterstattung gegenüber Inserenten" "unerlässlich" sei. Was sagen Sie dazu?

Dadge: (lacht) Ich bin wirklich erstaunt. Ehrlich, dieser Versuch, Berichterstattung zu kontrollieren ... Hier geht es um Glaubwürdigkeit. Wenn Werbung und Nachrichten sich berühren, untergräbt das das Vertrauen der Leser. Ein Chefredakteur der New York Times hat einmal allen Mitarbeitern der Anzeigenabteilung verboten, die Redaktion auch nur zu betreten. Als er trotzdem einmal einen Anzeigenchef dort erwischt hat, hat er ihn hinausgejagt.

STANDARD: Fast die Hälfte aller Österreicher liest eine Zeitung, die "Kronen Zeitung". Ist das eine Gefahr für die Pressefreiheit?

Dadge: Es ist ein großer Erfolg für ein Blatt, eine solche Stärke, eine solche Dominanz zu haben. Für einen freien Markt ist es wichtig, sicherzustellen, dass eine Zeitung so eine Dominanz auch erreichen kann. Warum sollten Leute Zeitungen gründen, wenn sie sie nicht in erfolgreiche Zeitungen verwandeln können? Ich komme aus Großbritannien, dort haben wir die Sun. Sie hat enorm viele Leser, ist sehr dominant, aggressiv, prokonservativ. Aber Sie können Zeitungen nicht vorschreiben, was sie schreiben. Es liegt am Leser, zu entscheiden, ob er die Zeitung kauft. Ich sehe keinen Weg, wie man sich da einmischen kann.

STANDARD: Vor der Bundespräsidentenwahl ist wieder einmal das Verbotsgesetz diskutiert worden. Was ist Ihre Meinung dazu?

Dadge: Ich werde Ihnen keine Ja/ Nein-Antwort geben, aber ich denke, es gibt Argumente, dieses Gesetz abzuschaffen - etwa die Verhaftung David Irvings. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich halte Irvings Auffassungen für völlig wirr, aber: Sie können in ein anderes Land oder ins Internet gehen und werden hören, was er sagt. Information will frei sein - auch dieses schreckliche, völlig zynische Geschichtsbild. Solche Gesetze laufen Gefahr, genau das zu provozieren, was sie verhindern wollen. Durch die Verfolgung Irvings hat er eine Bühne bekommen. Das ist gefährlich, und das passiert wegen dieses Gesetzes. Das Gesetz hat Österreich vielleicht nach dem Zweiten Weltkrieg geholfen, aber jetzt wäre eine Diskussion darüber sehr wichtig.

STANDARD: Welche Gefahren für die Pressefreiheit gibt es in Österreich?

Dadge: Die gleichen wie in allen westlichen Demokratien: Dass es zu kuschelig wird zwischen Journalisten und Politikern. Die Rolle des Journalisten ist es, Dinge aufzumischen. Sie müssen Politikern unangenehme Fragen stellen und verhindern, dass die Politiker den Nachrichtenfluss steuern.

STANDARD: Wie viel darf denn gekuschelt werden?

Dadge: Fakt ist: Journalisten und Politiker verbringen viel Zeit zusammen, sie brauchen einander. Die Rolle des Journalisten ist es aber, zu hinterfragen, was Politiker sagen und tun. Die Geschichte des Telegraph über die Spesenabrechnung der Members of Parliament etwa war schier brillant. Das ist genau die Art des Journalismus, die praktiziert werden sollte. Es gibt viele Journalisten, die Politiker herausfordern. Und ich denke, neue Medien und Technologien machen das noch leichter.

STANDARD: Warum ist das IPI in Wien? Bringt das Vorteile?

Dadge: Mein Vorgänger, Johann P. Fritz, war Österreicher. Bis 1993 war IPI in London, dann kam es mit Fritz hierher. Die Lage hat riesige Vorteile. Wien ist die dritte Stadt der Uno. Und Österreich liegt direkt an der alten Grenze zwischen West und Ost. In den frühen 90ern gab es große Probleme mit Pressefreiheit im ehemaligen Ostblock. Auch wenn viele dieser Länder mittlerweile Teil der EU sind: Es dauert oft sehr sehr lange, bis diese Unterdrückung überwunden ist.

STANDARD: Sie haben vorher neue Medien angesprochen. Bei den Protesten nach den Präsidentenwahlen im Iran kamen viele Infos von twitternden Demonstranten, nicht Journalisten. Die Website Wikileaks hat geschafft, woran Reuters gescheitert ist, nämlich den Tod zweier Reuters-Reporter im Irak zu klären. Ist das IPI noch zeitgemäß?

Dadge: Ja, natürlich. Auch wenn das neue Technologien sind, sind es immer noch Menschen, die die Informationen bereitstellen. Außerdem muss jemand diese Informationen kontrollieren, editieren und publizieren. Da sind professionelle Medienmacher immer noch stark involviert, daher ist auch das IPI noch sehr relevant.

STANDARD: Sind Leute, die über eine Demonstration twittern, Journalisten?

Dadge: Unser Verständnis von Journalismus und Journalisten wird sich bald grundlegend ändern. Wir werden uns nicht mehr fragen, ist jemand ein Journalist, sondern, hat er getan, was sonst ein Journalist tut? Es wird immer professionelle Journalisten geben. Organisationen wie IPI müssen sich aber überlegen, wie und ob sie auch Leuten helfen, die bedroht werden, weil sie in einem bestimmtem Moment wie Journalisten arbeiten.

STANDARD: Wieso sind Sie so sicher, dass es immer professionelle Journalisten geben wird?

Dadge: Die neuen Medien sind ein fantastischer Fortschritt, weil jeder überall allen anderen in Echtzeit zeigen kann, was gerade bei ihm passiert. Aber: Jemand muss die Informationen verifizieren, die Leute müssen ihnen vertrauen können, und jemand muss die Informationen so bündeln, dass sie Sinn ergeben. Die Gefahr bei den neuen Medien ist, dass wir uns von einer faktenbasierenden Gesellschaft hinbewegen auf eine Gesellschaft, die auf Meinungen basiert. Patrick Moynihan (US-Senator, gest. 2003, Anm.), hat einmal gesagt: Jeder hat das Recht auf seine eigene Meinung, aber nicht auf seine eigenen Fakten. Die Rolle der Journalisten ist es, zu sagen: "Halt! Wir geben euch verifizierbare Fakten, auf denen Diskussionen aufbauen können." Und hoffentlich gibt es dann noch Leute, die bereit sind, dafür zu zahlen. Das ist der wichtigste Teil.

STANDARD: Warum ist es wichtig, dass Leute für Infos zahlen?

Dadge: Hier muss ich ausweichen auf die Frage: Warum ist Pressefreiheit so wichtig? Weil ich Entscheidungen treffen muss: Welchen Präsidenten wähle ich, welche Partei soll regieren? Dafür brauche ich Informationen: Wie gut ist die Polizei, wie gut entsorgen die lokalen Behörden den Mist, gibt es Korruption ... und Journalisten bieten das. Der Weg sicherzustellen, dass es verifizierte Fakten sind und nicht Meinungen, ist, professionelle Journalisten für Information zu bezahlen.

STANDARD: Gibt es Dinge, die nicht berichtet werden sollten?

Dadge: Es gibt diese Geschichte, dass die New York Times von den Plänen für die Invasion in der Schweinebucht (Versuchte Invasion der USA auf Kuba 1961, Anm.) wusste. Kennedy bettelte die Zeitung an, die Geschichte nicht zu bringen. Die Redaktion beriet sich und entschied, dass die Infos so viele Amerikaner das Leben kosten könnte, dass sie die Geschichte nicht brachten. Einige Monate nach dem Debakel sagte Kennedy, er wünschte, die New York Times hätte sie gebracht - dann hätte es diesen Versuch nie gegeben. Über manche Dinge kann man aber diskutieren: Hätte eine Zeitung geschrieben, dass die Alliierten in der Normandie landen werden? Ich denke, es gibt Infos, die nicht gedruckt werden sollten. Aber: Die Medien müssen diejenigen sein, die entscheiden, was dazugehört und was nicht.

STANDARD: Vielen Dank. Soll ich Ihnen dieses Interview zur Autorisierung schicken?

Dadge: Auf keinen Fall, das wäre Einflussnahme. Schreiben und drucken Sie es einfach. (Tobias Müller/DER STANDARD; Album, Printausgabe, 30.4./1./2.5.2010)