Gegenüber der Achmat-Kadyrow-Moschee im Zentrum von Grosny entsteht ein Denkmal für die Opfer der Tschetschenienkriege. Auf den Gedenksteinen haben längst nicht alle Namen Platz.

Foto: Standard/Diethelm

Die Brüder Jakub und Mohammed wollen in die Fußstapfen ihres Vorbilds Arnold Schwarzenegger treten.

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Trotzdem zieht es viele Bewohner ins Ausland. Präsident Ramsan Kadyrow will sie zurückholen.

Nicht nach Mekka, sondern nach Thal will der 30-jährige Jakub einmal in seinem Leben pilgern. Gemeinsam mit seinem Bruder Mohammed will sich der Fitnesstrainer auf den Weg in die Steiermark machen und das Geburtshaus seines großen Vorbildes Arnold Schwarzenegger besuchen. "Das ist super" und "Guten Tag!" kann Jakub, der in den 1990er-Jahren mit seiner Familie aus Kasachstan nach Tschetschenien gekommen ist, schon auf Deutsch sagen.

Die meisten jungen Tschetschenen träumen von einem Leben im Ausland. Luisa, die in einem Café im Zentrum von Grosny arbeitet, würde am liebsten, wie ein Freund, nach Norwegen auswandern. Ihre Freundin schwärmt von den Boutiquen in Spanien. Um an ein Visum zu kommen, braucht man allerdings viel Geld. Mindestens 2000 US-Dollar, erzählt Kranführer Ruslan.

Auch ein Jahr, nachdem der zweite Tschetschenienkrieg offiziell beendet wurde, ist die Kaukasusrepublik noch immer nicht zur Ruhe gekommen. Menschenrechtsorganisationen berichten von Entführungen durch die Sonderkommandos des tschetschenischen Präsidenten. Laut der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial sind im vergangenen Jahr 91 Menschen verschwunden.

Präsident Ramsan Kadyrow dementiert jedoch, dass diese Menschen verschwunden seien und er etwas damit zu tun haben könnte. Auch den Vorwurf, er stecke hinter dem Mord an Umar Israilov in Wien, weist der 33-Jährige zurück: "Wenn irgendwo eine Kuh verschwindet, dann wird sofort Kadyrow beschuldigt."

Die Zustimmung zu seiner Politik sei groß, sagt Kadyrow. "Sie können in den Bezirken Wedenski, Schatojski oder Scharojski nachfragen. Wenn die Zustimmung der Bevölkerung dort nicht 99 Prozent ist, werde ich eine Rücktrittserklärung schreiben."

2009 seien aus Österreich und Polen 20 Familien nach Tschetschenien zurückgekehrt. "Sogar der frühere Mufti von Itschkeria, Baj-Ali Tewsijew, ist aus Österreich zurückgekehrt", sagte Kadyrow vor einer Gruppe internationaler Journalisten. Wenn man kein Verbrechen begangen habe, könne man ohne Probleme in die Heimat zurückkehren. Damit künftig noch mehr Tschetschenen zurückkehren, will Kadyrow in Österreich, Deutschland, Belgien, Polen, Frankreich und Dänemark Vertretungsbüros einrichten. Vier davon seien schon in Betrieb, berichtet er.

Wenn die Exiltschetschenen in ihre Heimat zurückkehren, werden sie sie kaum wiedererkennen. Grosny, das im Krieg zu 80 Prozent zerstört wurde, und Gudermes gleichen einer einzigen riesigen Baustelle. Türkische und slowakische Baufirmen errichten in Gudermes ein ganzes Wohnviertel.

Das Geld für den Aufbau kommt zum Großteil aus Moskau und dem Kadyrow-Fonds. Details will Wacha Nasuchanow, Gebietsleiter von Gudermes, keine nennen. "Warum müssen wir immer über das Geld reden? Wir arbeiten, das ist die Hauptsache", sagt Nasuchanow. Korruption könne er ausschließen. "Unser Präsident ist da sehr streng. Hier kommt kein Geld weg", sagt der Bürgermeister.

Derzeit laufen die Bauarbeiten auf Hochtouren. Das neue Stadion muss bis zum Stadtfest am 7. Mai fertig sein. "Wir laden alle unsere Freunde ein und trinken Tee oder Kognak", sagt Nasuchanow. Nachsatz: "Nur darf der Präsident davon nichts wissen."

Der tiefgläubige Kadyrow ist gerade dabei, die Islamisierung Tschetscheniens voranzutreiben. Alkohol und Zigaretten sind verpönt. Die Stewardessen der "Grozny Avia" müssen seit kurzem ein Kopftuch tragen. In der neuen Eishalle in Grosny gibt es zwei Eisflächen: eine für Männer, eine für Frauen. Viele Tschetschenen können mit dem neuen Staatsislam wenig anfangen. Sie träumen weiter von einer Karriere als Bodybuilder oder auch nur von einem Geschäft mit westlicher Mode im neuen Einkaufszentrum. (Verena Diethelm aus Grosny/DER STANDARD, Printausgabe, 30.4.2010)