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Israels Premier Benjamin Netanjahu vor einer Ausstellung von Herzl-Sondermarken, die anlässlich des 150. Geburtstags des Zionismus-Begründers herausgegeben wurden.

Foto: REUTERS/Sebastian Scheiner

Zuvor hatte man seinen Todestag im Juli begangen - wegen der Schulferien ließ sich da aber die Jugend nicht gut einbinden.

An den Wartehäuschen bei den Bushaltestellen in Herzlia kleben große Plakate mit bunten Sternen, der Zahl 150 und der Silhouette eines Mannes mit schwarzem Vollbart. In der Aula der Smadar-Mittelschule sind ein paar Schülerzeichnungen zum Motto "Happy Birthday, Herzl" ausgestellt.

Aber man kann beim besten Willen nicht behaupten, dass der offizielle "Herzl-Tag" am letzten Montag - nach dem jüdischen Kalender war das Herzls Geburtstag - die Israelis in Atem gehalten hätte. "Wissen die Schüler überhaupt, dass heute der Herzl-Tag ist?" , lautet ein besorgter Zwischenruf im Unterrichtsausschuss des Parlaments, der am Vormittag eigens zusammengetreten ist, um zu prüfen, ob die der Verewigung des legendären Vordenkers gewidmeten Budgetmittel auch adäquat eingesetzt wurden. "Wissen es die Lehrer?" , kommt prompt die Gegenfrage.

In Herzlia zumindest wissen sie es. Einige Dutzend 15-jährige Schüler aus der Küstenstadt nördlich von Tel Aviv sind sogar auserwählt worden, um zur Knesset in Jerusalem gekarrt zu werden - sie dürfen der Sondersitzung beiwohnen, durch die Theodor Herzl an seinem 150. Geburtstag geehrt wird.

Der Journalist aus dem Wien der vorletzten Jahrhundertwende ist im modernen Israel schon deswegen ein allgegenwärtiger Begriff, weil es in jeder Stadt eine Herzl-Straße gibt. Nur in Herzlia ist das nicht nötig, weil ja die Stadt selbst nach ihm benannt ist. Dafür gibt es hier eine "Judenstaats-Straße" (Herzls bahnbrechendes zionistisches Manifest hieß Der Judenstaat), eine "Straße des Zionistischen Kongresses" (den hat Herzl 1897 erstmals einberufen), eine "Basel-Straße" (der Kongress tagte in Basel) und ein "Sieben-Sterne" -Einkaufszentrum (auf der Flagge, die Herzl für den sozialliberalen Judenstaat vorschlug, sollten sieben Sterne "die sieben goldenen Stunden unseres Arbeitstags" symbolisieren). Demnächst soll auch eine "Altneuland-Straße" eingeweiht werden (nach Herzls programmatischem Roman).

Zur Vorbereitung haben die Smadar-Schüler sich einzelne Kapitel aus "Altneuland" vornehmen und Vergleiche zwischen Herzls Utopien und dem real existierenden Staat Israel anstellen müssen - etwa zum Thema Schulsystem ("Es gibt in der Schule keinen Unterschied, weder in der Kleidung noch in irgend etwas anderem" , schrieb Herzl, "... darum sind sämtliche Schulen von der Elementarschule bis zur Zions-Universität unentgeltlich." ) Das Werk benennen sie mit seinem deutschen Originaltitel. Für den Autor sind in Israel übrigens eher seine hebräischen Vornamen Benjamin Seev geläufig.

Die Stimmung im Bus ist fröhlich, obwohl der Ausflug in den freien Nachmittag fällt. Auf einem der hinteren Sitze sind Adi (Zahnspangen und zartrosa Lippenstift) und der redselige Ijar mehr oder weniger einer Meinung: "Das ist ja nett, aber man gibt Herzl zu viel Bedeutung - es ist nicht richtig, wenn man ihn ‚Prophet des Staates‘ nennt - er hat ja bloß eine Art Programm gemacht, das zum Teil durchgeführt wurde - aber Israel ist der einzige Platz, der gut für die Juden ist."

Viele sind unter ihren Kopfhörern auf ihre iPods konzentriert, einige schlafen trotz des Geschreis. Die Heimatkunde-Lehrerin Aviva versucht, ihr Publikum mit einem Quiz aus biblischer und israelischer Geschichte herauszufordern. Matthew, im Alter von neun Jahren mit seiner Familie aus New Jersey eingewandert, bewundert bei Herzl vor allem dessen persönlichen Einsatz: "Er hat sein Familienleben geopfert - ein Held ist nicht nur, wer in den Krieg zieht." In den USA hat man in der Schule auch viel über Nationalhelden gesprochen, wie George Washington oder Martin Luther King, aber nicht so viel wie über Herzl in Israel.

Auf der Besuchergalerie des Parlaments befällt die Schülerhorde dann zumindest für einige Minuten eine gewisse Ehrfurcht. Man ist zu früh gekommen und in die Debatte über einen Misstrauensantrag gegen die Regierung geplatzt. Deren Politik sei "eine Gefahr für die Existenz des zionistischen Projekts" , wettert Chaim Oron von der kleinen Linkspartei Meretz. Ghaleb Majadle, ein arabischer Politiker der Arbeiterpartei, wird als Abgeordneter frisch angelobt und beklagt in einer kurzen Antrittsrede die "Diskriminierung" der Araber in Ostjerusalem.

"Herzls Vision war schöner"

Nach und nach tauchen dann im Plenarsaal die Figuren auf, die man aus dem Fernsehen kennt. Man wundert sich darüber, wie dick der Handelsminister Benjamin Ben-Elieser ist. Und einem der weiblichen Teenager entfährt ein verzückter "Bibi" -Schrei, als sie Premier Benjamin Netanjahu erblickt. "In der Geschichte der Völker sind die Fälle selten, in denen man auf einen Menschen zeigen kann, der fast allein sein Volk vor dem Untergang gerettet hat" , beginnt Netanjahu seine Festrede, "Benjamin Seev Herzl war einer davon." Oppositionschefin Zipi Livni kann es sich nicht verkneifen, mit einem Vergleich zwischen dem "Visionär" Herzl und Netanjahu zu sticheln: "Man braucht eine Vision und den Mut, sie zu verwirklichen - Herr Premierminister, die Aufgabe einer Führung ist es, sich nicht nur an die Vergangenheit zu klammern, sondern die Pläne für die Zukunft zu zeichnen."

Mit den naiv-bescheidenen Politikern, von denen Herzl seinen Musterstaat führen lassen wollte, haben jene unten im Saal wenig gemein. "Herzls Vision war schöner" , findet der bebrillte Itai auf der Galerie, "eine bessere Wirtschaft, ein geordneteres Land, keine Korruption." "Sie hätten das kürzer machen sollen" , meinen fast alle bei der Rückfahrt im Bus, "das war ziemlich langweilig." (Ben Segenreich aus Herzlia, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 30. April/1./2. Mai 2010)