Die früheste Erinnerung Theodor Herzls an seine Schulzeit bestand ausgerechnet in den Prügeln, die er bezog, weil er "die Einzelheiten des Auszugs der Juden aus Ägypten nicht wusste" . Das schrieb der Begründer des politischen Zionismus 1898, ein Jahr nachdem sich der erste Zionistische Kongress in Basel auf Palästina als künftige Heimstätte der Juden festgelegt hatte. Seine 1896 erschienene Schrift Der Judenstaat hatte den Ort noch offengelassen. Herzl hatte Argentinien angedacht - für das die größtmögliche Entfernung von Europa sprach, sagt der israelische Politikwissenschafter Shlomo Avineri, von dem vor kurzem auf Hebräisch eine Herzl-Biografie herausgekommen ist.

Herzl, am 2. Mai 1860 in Budapest geboren, Jurist, Journalist und Dramatiker, war früh mit jenem Antisemitismus in Berührung gekommen, der ihn davon überzeugte, dass auch assimilierte Juden (wie seine Eltern) in Europa keine Zukunft hatten. Der Lehrer in der Realschule, der den Begriff "Heiden" mit "Götzendiener, Mohammedaner und Juden" definierte, war da nur ein harmloser Beginn. Die Studentenverbindung Albia, in die er zu Beginn seines Jusstudiums 1878 in Wien eintrat, verließ er, als ihm der Antisemitismus von Kommilitonen zu viel wurde. Aber zum Schlüsselerlebnis wurden seine Beobachtungen während des Dreyfus-Prozesses als Korrespondent der Neuen Freien Presse in Frankreich (Hauptmann Alfred Dreyfus wurde in einem von einer antisemitischen Welle getragenen Prozess wegen Spionage für Deutschland unschuldig verurteilt).

Den Judenstaat veröffentlichte Herzl nach seiner Rückkehr aus Paris: Presse-Chefredakteur Moriz Benedikt versuchte seinem Redakteur die Publikation auszureden, sie würde Herzls guten Ruf und den der Presse beschädigen. Aber die Lawine war schon losgetreten; der London Jewish Chronicle brachte einen Vorabdruck. Ein Redaktionskollege erkundigte sich bei Herzl, "ob das Gerücht, er sei wahnsinnig geworden, etwa auf Wahrheit beruhe" (Biografie von Amos Elon). In der Presse durfte keine Zeile darüber erscheinen.

Der Begriff Zionismus selbst stammt vom Vordenker Nathan Birnbaum. Während der "praktische" Zionismus in Form von jüdischer Einwanderung in Palästina bereits existierte, wurde Herzl zum Denker und Führer der politischen Bewegung. Nach der Einberufung des ersten Zionistischen Kongresses wurde an den - auch finanziellen - Rahmenbedingungen gearbeitet. Herzl selbst trug in sein Tagebuch ein, dass er "in Basel den jüdischen Staat gegründet habe" . Erst "vielleicht in fünf, sicher in fünfzig Jahren" würden das alle wissen. Israel wurde 51 Jahre nach Basel gegründet - und drei Jahre nach dem Holocaust.

Ob es, wäre Herzl nicht so früh gestorben, schon früher einen Judenstaat gegeben hätte, in den sich die verfolgten Juden retten hätten können? Vielleicht. Aber auch Herzl hat Die versteckte Frage (Titel eines 1907 erschienenen Artikels von Yitzhak Epstein) nach dem Zusammenleben mit den Arabern wohl eher unterschätzt.

1949 wurden Herzls Überreste, seinem Wunsch gemäß, nach Israel überführt und in Jerusalem bestattet (er hatte sich allerdings ein Grab in Haifa gewünscht), gemeinsam mit denen seiner Eltern. Erst 2006 kamen zwei seiner Kinder dazu: Sohn Hans, zum Katholizismus konvertiert, hatte sich 1930 nach dem Tod seiner drogensüchtigen Schwester Pauline umgebracht. Auch Tochter Trude, die in Theresienstadt ermordet wurde, hatte unter psychischen Störungen gelitten, die angeblich von ihrer Mutter Julie in die Familie gebracht wurden. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 30. April/1./2. Mai 2010)