Eine Aufstiegsgeschichte wird zugespitzt: Asta Nielsen in "Der Reigen. Ein Werdegang"  aus dem Jahr 1920

Foto: Filmarchiv

Wien - Ruth Breton ist eine Frau mit beträchtlichem Einfluss: Welche Drehbücher verfilmt werden, das ist ihre Entscheidung. Während der Aufnahmen, als Hauptdarstellerin vor der Kamera, scheint sie auch ein wenig mit Regie zu führen. Und im Labor begutachtet sie akribisch die Muster, macht Einwände geltend - sie "interessiert sich für jedes Detail" , sagt ein Zwischentitel.

Der Film heißt "Die Filmprimadonna" (1913). Ruth Breton ist eine der vielen Leinwandheldinnen, die Asta Nielsen verkörpert. Aber der Film trägt durchaus auch autobiografische Züge: Nicht nur ist Nielsen, seit zwei Jahren bei einer deutschen Produktionsfirma unter Vertrag, am Gewinn ihrer Filme beteiligt. Bereits zu Anfang ihrer steilen Karriere im aufstrebenden neuen Unterhaltungsmedium fällt sie selbst ganz grundsätzliche künstlerische Entscheidungen.

Asta Nielsen, 1881 in Kopenhagen in eine Arbeiterfamilie geboren, wird mit deren Unterstützung Schauspielerin. Sie arbeitet zunächst am Theater, 1910 schlägt sie einem Kollegen vor, ein Filmdrehbuch zu schreiben und mit ihr in der Hauptrolle zu inszenieren. Der Kollege heißt Urban Gad, der Film heißt "Afgrunden"/ "Abgründe". Er wird ein internationaler Erfolg - nicht zuletzt aufgrund des ungewöhnlich expressiven und körperlichen Spiels der Nielsen in der Rolle einer behüteten jungen Frau, die ihren Gefühlen für einen Zirkusartisten nachgibt. Der Regisseur und die Darstellerin haben sich schlagartig ein neues künstlerisches Feld eröffnet.

Beherzte Komödiantin

1911 unterzeichnen sie den folgenreichen Vertrag in Deutschland, sie verpflichten sich, bis zu zehn Langfilme im Jahr zu drehen. Neben Melodramen wie den genannten entstehen auch wilde Komödien wie "Engelein" (1913), in denen Nielsen - immerhin schon über dreißig - als rotziges, rauchendes Punk-Gör und als hingebungsvolle Komikerin überzeugt.

Bis Mitte der 1920er-Jahre wird Nielsen einen Film nach dem anderen drehen, dann wird sie mehr oder weniger kaltgestellt. 1932 hat sie ihren letzten Leinwandauftritt. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten zieht sie sich endgültig zurück, 1937 übersiedelt sie zurück nach Kopenhagen. Sie bleibt als Autorin und Künstlerin aktiv und stirbt 1972 im Alter von 91 Jahren.

Ihr Name, ihr Ruf als unerschrockene, emanzipierte Künstlerin und auch das fast zeichenhafte Bild von der dunkelhaarigen Frau mit den dunkel umschminkten, wachen großen Augen haben jedoch bleibenden Eingang ins popkulturelle Gedächtnis gefunden. In über siebzig Filmen hat Asta Nielsen mitgewirkt, mehr als die Hälfte davon existiert nicht mehr, von den anderen gibt es oft nur noch Fragmente - auch am Ende der "Filmprimadonna" findet sich die Aufforderung, sich beim Nederlands Filmmuseum zu melden, wenn man etwas "über die fehlenden 1150 m weiß" .

Alles, was man darüber derzeit wissen kann, ist nun in einer zweibändigen filmhistorischen Publikation nachzulesen. Das gewichtige, fast tausendseitige Kompendium, das jetzt druckfrisch vorliegt, kann man auch noch in anderer Hinsicht als eine Art von Lebenswerk ansehen: Heide Schlüpmann und Karola Gramann, seit Jahrzehnten von Frankfurt/Main aus ganz wichtige Impulsgeberinnen für das Sehen von, das Denken und Schreiben über Film, legen mit "Nachtfalter. Asta Nielsen, ihre Filme" einerseits einen kompletten, reich ausgestatteten Werkkatalog vor.

Andererseits haben sie gemeinsam mit den Koherausgebern Eric de Kuyper, Sabine Nessel und Michael Wedel für "Unmögliche Liebe. Asta Nielsen, ihr Kino" ein "Lesebuch" zusammengestellt, das sich dem Phänomen Asta Nielsen widmet: dem wesentlich von ihr mitgeprägten "Filmspiel" beispielsweise, den damals im Wandel befindlichen Produktionsverhältnissen oder dem "Echo in den Künsten" .

Dabei wiederum geht es nicht nur um Nielsens Wirkung auf die zeitgenössische Mode, die in der Schauspielerin die Verkörperung eines neuen Frauentyps fand, sondern auch um ihre eigene künstlerische Arbeit jenseits der Leinwand. Was Asta Nielsen im und fürs Kino leistete, das kann man noch bis 17. Mai im Wiener Metro sehen - alle Vorführungen werden live musikalisch begleitet. (Isabella Reicher / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 29.4.2010)