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Unter den Vorurteilen über Übergewichtige seien nur wenige positive wie etwa der gemütliche und fröhliche Charakter.

Foto: APA/EPA/DIEGO AZUBEL

Freiburg - Liegt ein dünner Mensch auf der Couch und sieht fern, so ruht er sich aus. Ein dicker Mensch hingegen ist faul und unmotiviert, zumindest in den Augen des Betrachters. Dass es derartige Unterschiede in der Wahrnehmung gibt, haben Forscher der University of Alberta nun festgestellt. "Ebenso, wie Übergewichtige nicht automatisch unsportlich sind, sind Dünne nicht fit und gesund. Man muss sich solche Stereotypen bewusst machen, um ihre Folgen abwehren zu können", erklärt Studienleiterin Tanya Berry.

Negativer Stereotype

Für den Versuch wurde eine bekannte psychologische Testmethode eingesetzt. Freiwillige betrachteten eine Bilderreihe, wobei nach jedem Foto ein Wort wie etwa "faul" aufschien. Es galt anzugeben, welche Farbe die Schrift hatte, wobei die Forscher allein die Reaktionszeit interessierte. Bei Fotos von Übergewichtigen auf der Couch war diese länger, was auf das Vorhandensein des Faulheit-Stereotyps im Gehirn schließen lässt, das die Konzentration auf die Schriftfarbe kurz ablenkt.

"Unter den Vorurteilen über Übergewichtige sind nur wenige positive wie etwa der gemütliche und fröhliche Charakter", berichtet die Freiburger Psychologin Anja Hilbert. Hilbert erforschte jahrelang an der Universität Marburg die Stigmatisierung von adipösen Menschen. Sichtbar wurde dabei eine ganze Reihe negativer Stereotypen. "Übergewichtige werden als faul, undiszipliniert, zügellos, willensschwach, genusssüchtig und wenig leistungsbereit gesehen", so die Forscherin. Dazu kommen noch Vorurteile, die die Körperästhetik betreffen.

Westliche Kulturen diskriminieren stärker

Die Bewertung von Übergewicht ist durchaus kulturell bestimmt. In industrialisierten Ländern, in denen Leistung und Erfolg überbetont werden, ist das Schlankheitsideal am meisten verbreitet, was zugleich eine Beurteilung des Übergewichts als "nicht wünschenswert" bedeutet. "In Schwellenländern wie etwa Mexiko sind die Zuschreibungen weit weniger negativ", erklärt Hilbert. Der gesellschaftliche Umgang scheint nicht besser zu werden, denn einer Wiederholungsstudie zufolge wollen Kinder heute weniger mit übergewichtigen Gleichaltrigen spielen als vor 30 Jahren.

Dass westliche Industriestaaten Übergewichtige derart stigmatisieren, führt Hilbert auf die Tendenz der Menschen zurück, stets die Ursache unerwünschter Ereignisse zu suchen. "Sieht man Übergewichtige, verbindet man mit ihnen sofort ein Fehlverhalten. Die Wissenschaft kann jedoch zeigen, dass das nicht angemessen ist. Spielen doch nachweislich auch die Genetik, die Verfügbarkeit von gesunder Nahrung, Zeitknappheit und Stress eine Rolle. Diese Faktoren haben Menschen nur teilweise selbst in der Hand", betont die Psychologin.

Vorsicht mit guten Ratschlägen

Vorurteile bestehen in den Köpfen und können nicht einfach weggewischt werden. "Die Kultur beeinflusst alle und sorgt für unwillkürliche Gedanken. Es kann aber durchaus gelingen, das Verhalten nicht von diesen Einstellungen steuern zu lassen. Ähnlich wie bei anderen stigmatisierten Gruppen kann man sich etwa bewusst auch neben fettleibige Menschen setzen, sie anlächeln oder freundlich sein. Bemerkungen zur Figur oder gut gemeinte Ratschläge werden hingegen oft als Angriff auf die eigene Person wahrgenommen", so die Expertin. Auch im familiären Umfeld sei hier Vorsicht angesagt.

Studien bei Abnehmwilligen konnten schon bisher Diskriminierungen in Bezug auf das Gewicht nachweisen. Viele leiden psychisch darunter. "Depressionen oder ein niedriger Selbstwert treten in dem Zusammenhang oft auf und können, wie bei Kindern festgestellt wurde, später sogar zu erhöhtem Suizidrisiko führen", warnt Hilbert. Wichtig sei es für Betroffene, trotz der zahlreichen negativen Kommentare, die oft verinnerlicht werden, einen positiven Selbstwert aufzubauen. "Ziel ist es, dass man die gesellschaftliche Bewertung trennen kann von dem, was wirklich zutrifft. Dann kann auch das positive Körperbild gelingen."  (pte)