Vereinfachte Sichtweisen erleichtern das Leben - aber meist nur für die, die schauen, nicht für die, die vereinfacht betrachtet werden. Ein Forum auf akademischem Boden, aber mit übergreifendem Einmischpotenzial, durchforstet österreichische Publikationen nach denkfaulen, vorurteilsbedingten Simplifizierungen. Laut der "Initiative teilnehmende Medienbeobachtung" von Studierenden am Institut für Kultur- und Sozialanthroplogie der Uni Wien ( www.univie.ac.at/tmb ) sind da Klischees und Verallgemeinerungen an der Tagesordnung, sobald es um ethnische oder kulturelle Unterschiede geht.
Zum Beispiel in einer unlängst heftig zitierten Studie des Meinungsforschungsinstituts Imas im Auftrag des Internationalen Instituts für liberale Politik in Wien. Sie kündet - so scheint es - von der in Österreich herrschenden großen Furcht vor dem Islam. 1088 repräsentativ Befragte bezeugen „einem Land mit islamischer Religion" zum Beispiel sehr viel „Rückständigkeit" und sehr wenig „Toleranz gegenüber Andersgläubigen" - im Gegensatz zu "einem westlichen Land wie Österreich", wo es wenig Rückständigkeit und viel Toleranz gebe. 

Das sei krude Schwarzweißmalerei, kritisiert die teilnehmende Medienbeobachterin. Denn hier werde aus allen Staaten mit muslimischer Mehrheit - von der Türkei bis Saudi-Arabien -, ein einziges großes Ösi-Angstpaket geschnürt, so unterschiedlich diese Staaten in der Realität auch seien mögen. "Wenn eine Befragung beispielsweise in Tunesien erhoben hätte, was die Leute zu den Schulen, der Demokratie, der Lebenslust und der Kluft zwischen Arm und Reich in christlichen/europäischen Ländern (so unterschiedlich wie Schweden und Italien, England und Rumänien) meinen, würden entweder alle aufheulen ob der Unprofessionalität der Erhebung oder man würde sie ignorieren", schreibt sie. 

In der Kronen Zeitung wiederum wurde im heurigen Februar über den Mord an einem indischen Staatsbürger in Wien-Ottakring unter den Titel „Todesstich in Klein-Bollywood" berichtet. Die Gegend zeichne sich durch eine Vielzahl von Curry-Lokalen und „Videotheken mit bunten Kostümfilmen" aus, heißt es in dem Artikel. „Lokale, Videotheken machen also schon 'Indien' aus? Ein Land, das sich über 3 Millionen Quadratkilometer erstreckt, in dem sich die Leute in 122 verschiedenen Sprachen unterhalten? Ein Land, das man unmöglich auf einen Wiener Bezirk, genauer noch eine 'Gegend rund um die Ecke' reduzieren kann. Den ersten Bezirk nennen auch nur wenige Leute 'klein Hollywood', obwohl er doch mit sechs Stück die höchste Anzahl an McDonalds-Restaurants aufweist", heißt es in der Replik.

Ein solches Zurechtrücken der Relationen gehört mit zu den Stärken der Kultur- und Sozialanthropologie, wie sie heute praktiziert wird: einer Wissenschaft, die sich vom Rassismus und Biologismus ihrer Vorläuferin Völkerkunde emanzipiert hat. Stattdessen setzt sie auf Infragestellung von Denkschablonen, die in Begriffen wie „die Muslime", „die Inder", oder auch „die Schwarzafrikaner" zum Ausdruck kommen. Auf die Medien angewandt, ist das eine gute Sache - auch wenn die Qualitätsmedien von den Beobachterinnen und Beobachtern überraschend oft ihr Fett abbekommen. 

Irene.Brickner@derStandard.at