Warren Fahy: "Biosphere"
Broschiert, 495 Seiten, € 10,30, rororo 2010.
Als Autor ist der Kalifonier Warren Fahy bislang ein unbeschriebenes Blatt gewesen; vorgesetzt man rechnet Werbetexte und Filmrezensionen nicht mit ein. Dafür entwirft er gleichsam rückwirkend die Urknall-Version des Szenarios von der abgelegenen Insel mit einer Fauna und Flora, die längst ausgestorben sein sollten. "King Kong" und "Die vergessene Welt" (Arthur Conan Doyle, nicht Michael Crichton) kleben im Vergleich dazu an der Gegenwart, denn Fahys Insel ist das letzte Überbleibsel eines uralten Superkontinents, neben dem sich Pangäa wie das reinste Neubaugebiet ausnimmt. "Fragment" daher der Originaltitel des 2009 erschienenen Romans, der auf "Deutsch" zu "Biosphere" wurde. Was aber nur die erste von vielen, vielen Mutationen ist, die uns - vor allem aber den Romanfiguren - mit Karacho ins Gesicht springen werden.
Vor dem Lesen könnte es sich anbieten einen Gurt anzulegen - Tempo ist angesagt. Das gilt für den aberwitzigen Lebenszyklus der Inseltiere - eine Wissenschafterin fasst den Takt von Fressen, Vermehren und Gefressenwerden einmal als Krieg im Kreißsaal zusammen - und ebenso für die panische (und meist vergebliche) Flucht der armen WissenschafterInnen, die auf der Insel gelandet sind. Genau genommen beginnt es aber schon früher, nämlich bei der Vorstellung der ProtagonistInnen. Im Schnelltakt werden die TeilnehmerInnen der Doku-Soap SeaLife nach folgendem Schema vorgestellt: Körper - Augen - Haare - Bekleidung ... plus ein paar Anmerkungen zum Charakter. Das könnte die Oberflächlichkeit einer auf Generierung von TV-Bildern bedachten "Forschungsexpedition" illustrieren ... oder es ist die seltsame Idee eines Autors, der seinen ersten Roman schreibt und so etwas für notwendig hält. Auf jeden Fall hat es den gleichen Effekt wie eine Cocktail-Party, auf der einem in kurzer Zeit viel zu viele Namen und Gesichter vorgestellt werden, die man sich ohnehin nicht merken kann.
Anders als auf den meisten Parties entsorgt hier aber schon nach kürzester Zeit ein erstes Gemetzel die meisten Figuren - am besten nicht verwirren lassen und gleich auf die Botanikerin Nell Duckworth und den Meeresbiologen Andrew Beasley konzentrieren. Dazu kommen noch zwei, die erst später die Insel betreten werden: Der buchstäblich über Kinderleichen gehende Bestseller-Autor Thatcher Redmond, eine geltungssüchtige Medien-Nutte der Wissenschaft - und sein genaues Gegenteil Geoffrey Binswanger, der zwar auch das Zeug zum Medienstar hätte, auf Popularität aber pfeift.
Da die blutigen Bilder vom ersten Landgang live in alle Welt übertragen werden, zieht sich bald eine Seeblockade der Navy um die Insel zusammen. Schon im ersten Drittel tritt der Roman also in die Phase ein, die keine der im Vormonat vorgestellten Erzählungen der "Monstrous"-Anthologie errreichte: Die militärischen Bemühungen um Aufklärung und schließlich Abwehr einer biologischen Gefahr, eigentlich ein klassischer Bestandteil von Monstergeschichten. Zur Sorge besteht auch aller Grund: Bald zeigen die wissenschaftlichen Analysen, dass jede einzelne der wehrhaften Insel-Spezies das Potenzial hätte, die restliche Biosphäre vollständig zu vernichten, sollte sie erst einmal auf einen der Kontinente eingeschleppt werden. Was gleichzeitig der eigentliche - und gewollte - Gag des Romans ist: In der realen Welt fallen Insel-Biotope mit deprimierender Schnelligkeit der Verbreitung vom Menschen eingeschleppter Spezies zum Opfer - Fahy dachte sich, er dreht den Spieß mal um.
Und Fahy hat seine mörderische Brut nicht nur im Wort beschrieben. Der Roman enthält auch einige Illustrationen von Hendersratten, Spigern und Tellerameisen, da lacht das Herz! Vor allem letztere sind vom biologischen Konzept her so bestechend, dass man sich fragt, warum die Natur noch nicht selbst auf den Gedanken gekommen ist. Überdies sind es keine willkürlich zusammengewürfelten Spezies mit möglichst spektakulären Kräften, Fahy hat sich bemüht, eine in sich stimmige alternative Evolutionlinie zu entwerfen. Als Ausgangspunkt wählte er dafür Fangschreckenkrebse, eine Tiergruppe, die den LSD-Träumen von Pulp-Coverzeichnern entsprungen zu sein scheint. (Web-Tipp: Eine Image-Search zum Stichwort "mantis shrimp").
Vorwarnung: Im letzten Drittel gehen Fahy die Gäule durch. Zuvor hielten sich haarsträubende Einfälle und ein erkennbares Gespür für wissenschaftliche Themen (und wie man sie schildert) noch die Waage. Doch die Plot-Wendung, die dann kommt, ist einfach albern - da muss man schon die Humor-Brille aufsetzen, um sich den Roman nicht zu verderben. - Eine unbestreitbare schreiberische Leistung ist es hingegen, wenn ein Autor es schafft, Sympathien oder Antipathien zu wecken, die der eigenen sorgsam gehegten Weltanschauung zuwiderlaufen. Irgendwann zwischen der Szene, in der ein kamerabestückter Mungo von den Inseltieren zerfetzt wird, und dem x-ten Massaker an hilflosen WissenschafterInnen habe ich mich - erklärter Tierschutz-Verfechter, der ich bin - bei dem ungewohnten Gedanken ertappt, dass die ganze ökologisch wertvolle Insel mitsamt ihren widerlichen Mistviechern hoffentlich bald ein schönes langes Vollbad in Napalm nimmt.