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Premier Leterme reichte seinen Rücktritt ein.

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Stopp!, sagte der Chef der flämischen Liberalen, Alexander de Croo, nach dem Scheitern der Gespräche im Streit mit den Wallonen. Nun sucht Belgien eine neue Regierung.

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Sprachgebiete in Belgien.

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Auslöser ist der Sprachenstreit Flamen gegen Wallonen.

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Es ist eine Strecke von nur wenigen hundert Metern, wenn man vom Sitz des belgischen Premierministers an der Ringstraße zum Stadtpalast des Staatsoberhauptes gelangen will. Die jüngste Blitzfahrt von Yves Leterme zu König Albert II. am Donnerstag dürfte aber umso länger als eine der skurrilsten in der an Seltsamkeiten nicht gerade armen politischen Geschichte des Königreichs in Erinnerung bleiben. Zum zweiten Mal in nicht einmal zwei Jahren lag eine Regierung des Chefs der flämischen Christdemokraten in Trümmern. Vor fünf Monaten erst hatte Leterme erneut die Amtsgeschäfte übernommen, nachdem sein Vorgänger Herman Van Rompuy als Premier von den Staats- und Regierungschefs der Union zum ständigen EU-Präsidenten gekürt worden war. Diesem musste Leterme 2008 nach nur zehn Monaten weichen, weil er bei einem Bankenskandal dem Volk nicht die Wahrheit gesagt hatte.

Permanentes Scheitern

Seit den letzten Wahlen 2007 steht das Land zum fünften Mal davor, eine neue Führung zu bekommen - zwischenzeitlich hatte der abgewählte Liberale Guy Verhofstadt ein Notkabinett geführt. Das alles ist selbst im Mutterland der Karikaturen und des Absurden ein neuer Rekord.

Leterme hatte sein Kabinett zu Mittag zur Dringlichkeitssitzung versammelt. Danach wollte er dem König seinen Rücktritt anbieten. Albert II. ließ vorsorglich alle Routinetermine stornieren, wollte vor einer Entscheidung noch Konsultationen führen.

Die Krise trifft das Land zu einer ungünstigen Zeit: Am 1. Juli wird Belgien den EU-Vorsitz übernehmen und soll die Union führen. Hintergrund ist wieder einmal der Streit um die Rechte der französischsprachigen Wallonen gegenüber den niederländisch sprechenden Flamen in den 35 Umlandgemeinden der (zweisprachigen) Hauptstadt Brüssel: Sie werden als BHV (Brüssel-Halle-Vilvoorde) zusammengefasst. Ausgelöst wurde die Krise von der Partei der flämischen Liberalen (Open VLD). Deren Vorsitzender Alexander de Croo verkündete am Vormittag, die Regierung zu verlassen. Ohne die VLD minimiert sich die Mehrheit der Fünf-Parteien-Regierung auf 76 von 150 Mandaten im Parlament. Zu wenig.

De Croo begründete den Absprung damit, dass die Vertreter der Wallonen das unter dem Vermittler Jean-Luc Dehaene (Christdemokrat, oftmaliger Premierminister) vereinbarten Zeitplan nicht einhalten wollten. Diese verwahrten sich gegen ein "Ultimatum" . Worum geht es in dem jahrelangen Sprachen- und Wahlrechtsstreit? Belgien, das mit niederländisch, französisch und deutsch drei Sprachgruppen hat, ist in drei Regionen unterteilt. Im wohlhabenden Norden dominieren die Flamen, im (nach dem Untergang der Schwerindustrie) ärmeren Süden die französischsprachigen Wallonen. In der Mitte liegt das zweisprachige Brüssel. In dessen 35 Umlandgemeinden genießen die französischsprachigen Belgier Sonderrechte: Sie dürfen Parteien in Brüssel und in ihren Gemeinden wählen. Das hob der Verfassungsgerichtshof 2003 auf. Seither sucht man vergeblich eine Lösung, wobei die Flamen durch Zuzug der "Franzosen" ein Untergraben ihrer Kultur fürchten. (DER STANDARD, Printausgabe 23.4.2010)