Alle zwei Jahre veröffentlicht man beim Ubuntu-Projekt eine sogenannte "Long Term Support Release", mit drei Jahren für den Desktop und fünf Jahren am Server verspricht man hier deutlich länger die Auslieferung von Updates als bei "normalen" Releases. Damit will man nicht zuletzt auch jene Unternehmen und KonsumentInnen anlocken, denen der gewohnte sechsmonatige Upgrade-Rhythmus zu häufig ist. Ein verstärkter Fokus auf Stabilität und langfristige Wartbarkeit zeichnet entsprechend üblicherweise die Vorbereitung einer LTS-Version aus.

Lucid Lynx

Mit Ubuntu 10.04 ist es nun in Kürze wieder so weit: Auch die mit dem Codenamen "Lucid Lynx" versehene Release soll wieder langfristig mit Aktualisierungen versorgt werden. Im konkreten Fall bedeutet dies allerdings keineswegs, dass man sich in Feature-Hinsicht zurückgehalten hat, die neue Generation der Linux-Distribution bringt eine ganze Reihe von Veränderung und neuen Features - was sich davon als positiv erweist, und wo es noch hakt, soll auf den folgenden Seiten etwas ausführlicher beleuchtet werden.

Brand-Erneuerung

Der erste Eindruck ist gleich mal ein ungewohnter, hat sich Ubuntu für Lucid Lynx doch einer optischen Generalüberholung unterzogen. Schon beim Start der Live-CD zeigt sich dies anhand des neuen Logos und eines frischen Farbschemas, die Zeit der gern kritisierten Brauntöne soll endgültig vorbei sein - Aubergine heißt die neue Modefarbe in "Lucid Lynx".

Screenshot: Andreas Proschofsky

Ebenfalls neu: Beim Booten der Live-CD werden von Haus aus keine Optionen mehr angezeigt, erst nach einem Tastendruck bietet der Boot-Manager hier weitere Möglichkeiten. Wer Angst hat, dadurch etwas zu verpassen, braucht sich keine großen Sorgen machen: Die Wahl zwischen dem - gefahrlosen - Testbetrieb von Ubuntu 10.04 oder dessen umgehender Installation wird nun ohnehin am Ende des Boot-Vorgangs gestellt.

Update

Schlauerweise hat man diese Entscheidung gleich in den ersten Screen des Installers gepackt, so dass sich für die Einrichtung von Ubuntu kein weiterer Zwischenschritt ergibt. Eine weitere äußerst sinnvolle Funktion: Ist zwischenzeitlich eine neuere Version des Installationsprogramms erschienen, wird die Aktualisierung angeboten. Sollte also nach der Veröffentlichung ein grundlegendes Problem im Zusammenspiel mit gewissen Hardwarekombinationen entdeckt werden, müssen die betroffenen NutzerInnen nicht länger auf die Veröffentlichung neuer Installationsmedien warten.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Sonst konzentriert man sich in Ubuntu 10.04 wieder einmal darauf die ohnehin bei Ubuntu schon äußerst simpel gehaltene Installation weiter zu vereinfachen. Wie das gehen kann, zeigt die Wahl der Zeitzone: Ist der Rechner bei der Einrichtung mit dem Internet verbunden, wählt Ubuntu anhand der IP-Adresse automatisch die vermutete Zeitzone aus. Statt dem gewohnten Herumklicken auf der Karte reicht nun also meist der flotte Gang zum nächsten Installationsschritt.

Alles klar

Weniger hat sich hingegen bei der Einrichtung der Speichermedien geändert, da dies aber ohnehin schon in der Vorgängerversion optisch gut umgesetzt war, und vor allem zuverlässig funktionierte, gibt es hier eigentlich wenig zu meckern. Die meisten NutzerInnen werden die entsprechenden Schritte wohl ohnehin dem Automatismus des Installers überlassen - befinden sich keine weiteren Systeme auf dem Rechner spricht ja auch tatsächlich wenig gegen diese Wahl.

Auswahl

Als Default-Dateisystem setzt Ubuntu 10.04 wie in den Vorgängerversionen auf ext4, das Next-Generation-Dateisystem btrfs vermisst man hier hingegen noch vollständig. Auch wenn dieses derzeit noch als "experimentell" angesehen wird, so wäre eine optionale Verfügbarkeit - natürlich samt den notwendigen Warnungen - ein nettes Extra gewesen. Weil dies in früheren Tests schon mal bekrittelt wurde, sei eine Detailverbesserung positiv erwähnt: Die, am Ende der Installation über einen Knopf erreichbare, Wahl des Installationsorts des Boot-Loaders nutzt nun die gewohnte /dev/sda1-Schreibweise statt dem für viele NutzerInnen wohl recht kryptischen (hd0,0).

Screenshot: Andreas Proschofsky

Eigentlich schwer vorstellbar, dass die Einrichtung eines Linux-Systems noch einfacher vonstatten gehen könnte, als es bei Ubuntu 10.04 schon der Fall ist, alles ist hier in wenigen Minuten erledigt. Auch das Aufspielen der Pakete klappt dann gewohnt flott, etwas das nicht zuletzt der Beschränkung der Distribution auf eine CD geschuldet ist. Die Wartezeit wird mit informativen Texten zu Ubuntu vertrieben, auch dafür hat man übrigens das Design erneuert.

Boot

Schon vor einiger Zeit hat man sich für Ubuntu 10.04 ein besonders ambitioniertes Ziel gesetzt: Innerhalb von 10 Sekunden soll "Lucid Lynx" gestartet sein - gemessen vom Boot-Manager bis zum fertigen Desktop, als Referenzplattform hatte man hier ein Intel Netbook mit Solid-State-Disk angegeben. Und tatsächlich startet die neue Version - bei einer frischen Installation auf den Testsystemen zum Teil erheblich schneller als die Vorgängerversion, in manchen Fällen beinahe doppelt so schnell.  Die konkrete Dauer hängt hier natürlich von der jeweiligen Hardware ab, langsame Festplatten sind hier der größte "Bremser", in einer virtuellen Maschine kamen wir hingegen auf geradezu beeindruckende acht Sekunden.

Boot

Um dies möglich zu machen, hat man gleich eine ganze Reihe von Änderungen am Boot-Prozess vorgenommen: So kommt hier nun das bei Fedora / Red Hat entwickelte Plymouth statt dem bisher genutzten USplash zum Einsatz. Bemerkbar macht sich zudem die Entfernung des Hardware-Abstraktions-Layer HAL: Wurde dieser doch bislang bei jedem Boot gestartet, seine - auch so schlankeren - Nachfolger udisks und upower werden statt dessen nur bei Bedarf aufgerufen. Ganz weg ist HAL damit übrigens auch bei Ubuntu 10.04 noch nicht, einige der vorinstallierten Programme benötigen die libhal noch für das Gerätemanagement.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Irgendwie vertraut und doch recht anders präsentiert sich dann der Desktop von Ubuntu 10.04. Gleich zwei neue Themes hat man der Distribution in ihrer aktuellen Ausgabe spendiert, "Radiance" und "Ambiance" nennen sich die beiden. Ersteres ist dabei als Default eingestellt, und auch wenn solche Fragen natürlich immer Geschmackssache sind: Zumindest beim Autor war der Drang, den Look umgehend anzupassen, deutlich niedriger als noch in den Vorgängerversionen.

Icon-Fragen

Während die frischen GTK+-Themes also ein echter Gewinn sind, kann dieses Verdikt in Icon-Fragen nicht uneingeschränkt erteilt werden. Zwar gibt es auch hier durchaus eine positive Weiterentwicklung - so hat man etwa die Folder-Icons mit einem etwas dünkleren Orange-Ton saniert - der offenbar unstillbare Drang zum Distributions-spezifischen Branding treibt bei Ubuntu aber weiter seine etwas seltsamen Blüten. Dass jedes zweite Icon etwas unmotiviert mit einem mehr oder weniger großen Farbklecks in Orange bzw. Violett versehen wird, wirkt jedenfalls alles andere als professionell.

Upstream

Schade ist dies auch deswegen, da GNOME 2.30, der ja die Basis des Desktops von "Lucid Lynx" bildet, mittlerweile ein hervorragendes Theme - noch dazu mit hochauflösenden Icons - anbietet. Dieses lässt sich zwar natürlich manuell nachinstallieren, wünschenswert wäre aber, dass sich Ubuntu - wie Novell, Red Hat und Intel auch - am offiziellen GNOME Icon Theme beteiligt, anstatt hier sein eigenes Süppchen zu kochen. Wenn die jeweilige Schmuckfarbe aus Gründen der "visuellen Identität" schon unbedingt angebracht werden muss, dann sollten anpasste Verzeichnis-Icons eigentlich auch reichen - so wie es etwa openSUSE und Fedora (ab der kommenden Release) bereits praktizieren.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Eine andere Änderung hatte schon im Vorfeld für äußerst "angeregte" Diskussionen gesorgt. Die Fensterknöpfe - zum Schließen, Minimieren und Maximieren - sind von der rechten auf die linke Seite gewandert. Für bestehende Linux-NutzerInnen ist das zunächst mal reichlich ungewohnt, das Umlernen wird allerdings wohl nicht all zu lange benötigen. Wirklich mühsam ist das Ganze allerdings für jene, die mehre Linux-Distributionen parallel nutzen, hat sich Ubuntu doch auch hier zu einem Alleingang entschieden.

Machtwort

Die Umstellung hatte auch innerhalb des Ubuntu-Projekts zu einigen Kontroversen geführt, ein aktuelles Interview mit Canonicals Technikchef Matt Zimmerman lässt in dieser Hinsicht recht tief blicken. Seiner Meinung nach habe es sehr gute Argumente gegen die Umsortierung gegeben, wird Zimmerman zitiert, letztendlich habe aber Mark Shuttleworth persönlich ein Machtwort gesprochen und das Ganze "durchgedrückt". Der Ubuntu-Gründer zeigte sich dabei immerhin bemüht auf die Zukunft zu verweisen, der jetzt frei gewordene Platz auf der rechten Seite soll mit Ubuntu 10.10 dann für neue Funktionalitäten genutzt werden.

Anpassung

Sei es wie sei - schlussendlich bleibt die Erkenntnis, dass sich die Anordnung der Knöpfe ohnehin relativ einfach wieder rückgängig machen lässt. Ubuntu selbst bietet dies im zugehörigen Einstellungsprogramm gar beim erstmaligen Anwählen des Themes mit einem Klick an.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Wie bereits kurz angerissen, bildet GNOME 2.30 die Basis des Ubuntu-Desktops,  woraus sich auch ein bedeutender Teil der Neuerung von Ubuntu 10.04 speist. Dazu gehören etwa eine geteilte Ansicht im File-Manager Nautilus oder auch der iPhone/iPod-Support mittels der virtuellen Dateisystemebene gvfs, um hier nicht unnötig zu doppeln sei für weitere Informationen auf die entsprechende Ansichtssache verwiesen.

Übernahme

Einen Großteil dieser Neuerungen übernimmt man direkt bei Ubuntu, die eine oder andere Ausnahme gibt es aber auch hier. So hat man sich dazu entschlossen, den Mail-Client Evolution weiter in der Version 2.28 auszuliefern, angesichts dessen, dass dort für GNOME 2.30 massive Umbauarbeiten - in Vorbereitung für GNOME 3.0 - vorgenommen wurden, wohl nicht die schlechteste Entscheidung.

Angepasst

Freilich besteht die Ubuntu-Entwicklung nicht ausschließlich aus der Zusammenstellung der diversen Softwarekomponenten, gerade im vergangenen Jahr hat man die eigene Entwicklung deutlich vorangetrieben. Im Rahmen des Projekt Ayatana soll die Usability des Linux-Desktops grundlegend hinterfragt und verbessert werden. In Ubuntu 10.04 setzt man dabei die bereits mit der Vorgängerversion begonnenen Modifikationen konsequent fort.

Sammlung

Ein Beispiel hierfür ist das "Messaging Menu", hier werden die aktuellen Nachrichten aus unterschiedlichen Quellen zusammengefasst. Mit der aktuellen Release hat man das Ganze erheblich übersichtlicher gemacht, auch werden nun von Haus aus Status-Updates von Twitter und Co. einbezogen - dankenswerterweise allerdings nur direkte Nachrichten oder Erwähnungen.

Screenshot: Andreas Proschofsky

An dieser Stelle sei noch einmal eine kurze Rückkehr zu den Äußerlichkeiten erlaubt, was an dieser Stelle nämlich - und dieses mal uneingeschränkt positiv - auffällt, ist, dass die diversen Panel-Objekte nun durchgängig monochrome Grafiken verwenden. Ein Schritt, der den "visuellen Müll" reduzieren soll, was auch immer man von solchen Begrifflichkeiten hält - es sieht jedenfalls ziemlich schick aus. Und: Es erhöht natürlich die Sichtbarkeit für die wenigen Fälle, wo man sich dann doch eine Einfärbung erlaubt hat: So wird beispielsweise das Ausschalt-Icon rot hinterlegt, wenn durch ein Update ein Neustart notwendig geworden ist, dass Messaging Menu erscheint wiederum grün, wenn ungelesene Nachrichten vorhanden sind.

MeMeMe

Die zentralen Einstellungen rund um die eigene Person versammelt man dann im recht passend benannten "Me Menu". Von hier aus lassen sich nicht nur die Account-Informationen erreichen - und verändern - sondern auch die Chat- und Microblogging-Zugänge einrichten sowie die Einstellungen für das Online-Service Ubuntu One verändern.

Problematisches

In seiner jetzigen Form beherbergt das Me Menu aber auch einen konzeptionellen Mischmasch, der durchaus viel Potential für verärgerte NutzerInnen beherbergt. Ist ein Microblogging-Account konfiguriert, erscheint hier nämlich ein zusätzliches Eingabefeld, über welches kurze Mitteilungen der weltweiten Öffentlichkeit kundgetan werden können. Das Problem ergibt sich daraus, dass direkt darunter der Status für den Instant-Messenger Empathy verändert werden kann. So manche NutzerInnen werden dies also wohl - wie von zahlreichen IM-Clients bekannt - für die Möglichkeit, einen individuellen Chat-Status festzulegen, halten, und so eigentlich nur für die eigenen FreundInnen gedachte Mitteilung unfreiwillig öffentlich machen.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Private und öffentliche Sphären auf diese Weise zu vermischen, ist eigentlich nie eine gute Idee, in diesem Fall ist es noch dazu eine ziemlich sinnlose. Ohne Angabe der verbleibenden Zeichen und mit einem solch kleinen Eingabefeld, eignet sich die Funktion auf Dauer nicht einmal für den flotten Tweet zwischendurch.

Doppelt gemoppelt

Und eine weitere Kritik: Das Me Menu und das Messaging Menu bieten - bei einem frisch aufgesetzten System - derzeit jede Menge Dopplungen. So gibt es bei einem "Nachrichten einrichten" vs. "Nachrichtenkonten beim anderen, analog dazu auch "Chat einrichten" vs. "Chatkonten". Und wem das noch nicht ausreicht, der wird sich freuen, dass exakt die selbe Funktionalität über das Einstellungsmenü noch mal erreicht werden kann, dieses mal aber hinter den Begriffen "Nachrichteneinstellungen" sowie "Sofortnachrichten und VOIP-Konten" versteckt. Bei Ubuntu scheint man sich dieser Problematik übrigens durchaus bewusst zu sein, und überlegt die beiden Menüs für 10.10 zusammenzulegen.

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Als Work-in-Progress verstehen sich derzeit noch die "Application Indicators", auf Basis eines vom KDE-Projekt entwickelten Standards sollen hier die wichtigsten Interaktionen mit laufenden Anwendungen vereinheitlicht werden. Das Ganze soll langfristig den bisher recht inkonsistent genutzten Benachrichtigungsbereich ersetzen, bis Ubuntu 11.04 soll dieser Wechsel vollzogen sein, so hofft es zumindest das Ubuntu Design Team in einem aktuellen Blog-Posting.

Zusammen

Der größte Schwachpunkt bei all den erwähnten Bemühungen des Projekt Ayatana bleibt denn auch der etwas unfertig wirkende Status. Vor allem die - jenseits des Default-Desktop-Sets - nötige Anwendungsunterstützung für "Application Indicators" und Co. fällt derzeit noch recht mager aus. Eine Situation an der man bei Ubuntu selbst nicht ganz unschuldig ist, halten sich die Bemühungen andere Distributionen und Projekte schon früh einzubinden doch bislang in sehr engen Grenzen.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Auf die Schnelle noch zwei Kleinigkeiten zum Panel: So ist auf den meisten der von einer früheren Version aktualisierten Testrechner die Reihung der Applets wild durcheinander geraten, ein Effekt der sich auch bei manchem Auflösungswechsel zeigte. Zwar hat man beim GNOME mit der Version 2.30 eigentlich hier eine fixe Ordnung eingeführt, die zusätzlichen Applets von Ubuntu waren da aber natürlich nicht vorgesehen - und kommen dieser löblichen Absicht nun in die Quere. Der zweite Punkt ist mehr eine Anmerkung als eine Kritik: Das Menü mit den Desktop-Einstellungen wird zunehmend länger, schon in der Default-Softwareausstattung passt es bei einer Auflösung von 1024x768 Pixel gerade noch einmal so auf den Bildschirm. Höchste Zeit also für das für GNOME 3.0 geplante neue Kontrollzentrum.

Softwareauswahl

Ubuntu 10.04 bringt aber nicht nur Verbesserungen am Bestehenden, für "Lucid Lynx" hat man auch die eine oder andere Veränderung an der Softwareausstattung der Distribution vorgenommen. Die wohl umstrittenste: Die beliebte Bildbearbeitung GIMP ist nicht mehr länger im Default-Install enthalten. Die Überlegung dahinter: Nur die wenigsten NutzerInnen benötigen wirklich die ganze Funktionsvielfalt von GIMP, das Programm verbraucht aber reichlich Platz auf der Live-CD, den man anderweitig besser nutzen könnte.

Ersatz

Statt dessen soll sich nun die Bilderverwaltung F-Spot um einfache Aufgaben wie Farbkorrektur oder das Zuschneiden von Bildern kümmern. Dazu hat man den schlanken Bilderbetrachter der Anwendung um einen Sidebar erweitert, der diverse einfache Edit-Funktionen beherbergt. Die konkrete Umsetzung lässt momentan allerdings noch zu wünschen übrig. Dass es keinerlei Undo-Funktion gibt, wäre leichter zu verkraften, wenn klarer wäre, welche Funktion sofort angewendet wird - und welche nicht.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Überhaupt wirkt das Ganze so, als wäre es in aller letzter Minute schnell mal zusammengewürfelt worden. Dass schon in der Default-Ansicht die Steuerung nicht vollständig in den Sidebar passt - dies sowohl mit deutschen als auch mit englischen Spracheinstellungen - sollte eigentlich nicht passieren. Auch wenn natürlich in Betracht gezogen werden muss, dass dieser Artikel bereits ein paar Tage vor der offiziellen Freigabe von Ubuntu 10.04 erscheint, einen solch unfertigen Zustand kann dies nicht erklären.  Bleibt der Trost, dass sich GIMP mit wenigen Griffen auch auf neu eingerichteten Systemen unkompliziert nachinstallieren lässt, bei aktualisierten Ubuntu-Systemen bleibt er ja ohnehin erhalten.

Neuzugänge

Doch kommen wir zu den Pluspunkten dieser Softwareentscheidung, nämlich den mit Ubuntu 10.04 neu aufgenommenen Komponenten. Da wäre einmal der am Rande schon erwähnte Microblogging-Client Gwibber, der ja mit seiner Integration ins Me Menu gleich zu einem fixen Bestandteil des Desktops gemacht wurde. Seit seinen Anfängen hat sich die Software jedenfalls erheblich gemausert, so ist alleine die Liste der unterstützten Services bereits äußerst ansehnlich: Neben Twitter, Identi.ca und Status.Net kann Gwibber auch mit Facebook, Flickr, FriendFeed und Digg umgehen.

Microblogging

Mit Features wie einer - optionalen - Multi-Spalten-Ansicht und der Inline-Anzeige von Bildern braucht man sich auch in dieser Hinsicht kaum vor den Branchen-Größen zu verstecken - und kommt doch ohne den Ressourcenfresser par exellence - Adobe Air - aus. Einziger kleiner Kritikpunkt: Die Startzeit der Anwendung lässt etwas zu wünschen übrig, dies obwohl das im Hintergrund werkelnde Service schon beim Systemstart aufgerufen wird. Verantwortlich dafür ist das DesktopCouch-Backend, das zwar den Abgleich mit Ubuntu One ermöglichen soll, aber eben so seinen Preis hat. Für Gwibber 3.0 arbeitet der Entwickler entsprechend bereits an einem SQLite-Backend, DesktopCouch soll dann nur mehr optional genutzt werden.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Eine traditionell  am Linux-Desktop nur schlecht bediente Kategorie ist jene des Videoschnitts, einfache Lösungen a la iMovie suchte man über Jahre vergebens. Glücklicherweise hat sich hier in letzter Zeit einiges getan, eine der vielversprechendsten Anwendungen ist dabei PiTiVi, das nun auch von Haus aus mit Ubuntu ausgeliefert wird.

Simpel

Die einfache Nutzung steht dabei im Vordergrund, entsprechend aufgeräumt gibt sich das Interface. Mit einfachen Schnittaufgaben klappt das Ganze jedenfalls schon mal ganz gut, auch das Neuvertonen von Videosequenzen stellt kein größeres Problem dar. Die Software kann dabei mit der Fülle der von GStreamer unterstützten Videoformate umgehen, für das abschließende Rendern lassen sich wichtigsten Parameter frei definieren.

Scanner

Vergeblich sucht man bei PiTiVi hingegen noch jegliche Form von Effekten oder Übergangsanimationen, daran interessierte NutzerInnen sind derzeit also wohl noch mit dem alternativen OpenShot besser bedient. Als drittes neues Desktop-Programm wurde mit Simple Scan noch eine schlanke Scanner-Software integriert, wie auch das bisher primär dafür genutzte XSane bedient man sich des erprobten Sane-Backends für die Kernaufgaben - tut dies allerdings mit einem wesentlich aufgeräumteren Interface.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Eine der zentralen Neuerungen von Ubuntu 9.10 war die Aufnahme des vollständig neu geschriebenen "Software Centers", schon damals betonte man, dass diese Komponente in späteren Versionen noch gehörig ausgebaut werden soll. Mit "Lucid Lynx" löst man dieses Versprechen nun ein, und nimmt eine Vielzahl von Verbesserungen vor.

Überblick

So präsentiert sich das Interface jetzt wesentlich aufgeräumter, vor allem die Vorschau auf die angebotenen Programme ist recht ansehnlich geworden - komplett samt großem Screenshot, damit man sich auch leichter etwas darunter vorstellen kann. Der Installationsfortschritt wird zudem nun anhand eines kleinen Fortschrittsbalken neben der erwählten Komponente angezeigt.

Unterteilung

Vielsagend auch die Trennung zwischen Ubuntu-supporteter Software und jener, die von Partnern zur Verfügung gestellt werden. In letzterer finden sich derzeit zwar nur Adobe Flash und Reader, leicht ist hier aber schon die erwartete Integration von kommerziellen Programmen vorstellbar. Nett zudem, dass externe Paketarchive (PPAs) nun jeweils als eigene Kategorie angegeben werden, und so leiht gezielt in diesen gesucht werden kann. Neu hinzugekommen ist im Software Center zudem eine Liste von empfohlenen Programmen, auch wenn diese derzeit noch etwas lieblos zusammengestellt wirkt.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Dass Canonical derzeit noch immer vom Sponsoring durch Ubuntu-Gründer und Software-Milliardär Mark Shuttleworth abhängig ist, darf als bekannt angenommen werden. Ein Umstand, den man allerdings nicht für alle Zeiten beibehalten will, insofern schaut man sich regelmäßig nach alternativen Einnahmequellen um, definitiv in diese Sparte fällt der Ubuntu One Music Store.

Ablauf

Von Haus aus ist dieser über den mitgelieferten Musik-Player Rhythmbox zu erreichen, wer hier Banshee bevorzugt, findet auch für diesen schon ein passendes Plugin. Die Musik der eigenen Wahl kann dann direkt in der Software probegehört und käuflich erworben werden. Freilich hat Ubuntu nicht auf die Schnelle mal einen vollständig neuen MP3-Shop auf die Beine gestellt, statt dessen ist man eine Partnerschaft mit 7digital eingegangen und greift auf dessen Angebot zurück. Dieses erweist sich übrigens als durchaus brauchbar, allerdings hängt der Umfang des Gebotenen auch vom eigenen Aufenthaltsort ab.

Eckdaten

Alle Titel werden dabei im MP3-Format mit - zumindest - 256 Kbps kodiert angebotenen, verlustfreie Formate oder auch Ogg-Support will man für die Zukunft zwar nicht ausschließen, derzeit fehlen diese aber noch. Dass die MP3s DRM-frei sind, versteht sich hier eigentlich ohnehin von selbst, der Preis liegt mit 99 Cent pro Titel im üblichen Rahmen. Wieviel davon Canonical abbekommt, ist derzeit nicht öffentlich bekannt.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Die Abwicklung des Kaufs / Downloads funktioniert über den Online-Service Ubuntu One, ein entsprechender Account ist also vonnöten. Dort ist eine Anmeldung zwar schnell vorgenommen, trotzdem birgt dieser Weg potentielle Probleme, ist der kostenlose Account doch auf 2GB Speicherplatz beschränkt. Wer hier mehr kaufen will, muss dann schon manuell wieder Platz schaffen. Trotz dieser kleinen Komplikation ist der Ubuntu One Music Store definitiv ein echter Gewinn für die Distribution - und ein echtes Highlight der aktuellen Release.

Abgleich

Apropos Ubuntu One: Die Integration des Online-Services hat man weiter verbessert, dazu gehört etwa ein neues Einstellungstool, bei dem die wichtigsten Parameter festgelegt werden können. Zudem kann nun direkt aus dem File Manager jeder beliebige Ordner zur Synchronisierung festgelegt werden. Ebenfalls neu ist die Möglichkeit einzelne Dateien gezielt öffentlich freizugeben - über ein Kontextmenü kann dann gleich die entsprechende URL kopiert und in Folge an andere weitergereicht werden.

Ausstattung

Kurz seien noch ein paar wichtige Softwareeckdaten erwähnt: Die Basis bildet der Kernel 2.6.32, aktuell ist die Version 2.6.33, manch aktuelle Verbesserung entgeht Ubuntu hier also noch. Ähnliches gilt für den Grafikserver, der xorg-server ist in der Version 1.7 enthalten, angesichts dessen, dass die proprietären Treiber von ATI derzeit noch nicht kompatibel mit der Version 1.8 sind, eine durchaus nachvollziehbare Entscheidung.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Zwei weitere Änderungen im Grafikbereich betreffen besonders NutzerInnen von NVidia-Karten: So lassen sich hier nun mehrere Versionen des proprietären Treibers parallel installieren, was vor allem bei auftretenden Problemen recht hilfreich sein kann. Zudem kommt von Haus aus der freie Nouveau-Treiber zum Einsatz - statt dem unlängst eingestellten "nv".

Suchfragen

Nichts geworden ist aus einer weiteren, ursprünglich angekündigten, Änderung für Ubuntu 10.04: Der Wechsel auf Yahoo! als Default-Suchmaschine im Firefox wurde kurzfristig wieder abgeblasen. Über die Ursachen für diesen Rückzieher darf eifrig spekulierut werden: So hat Mark Shuttleworth ja für Ubuntu 10.10 bereits angekündigt den "schnellsten Browser" suchen zu wollen, eventuell will man also die Beziehung zu Google vor einem Chrome-Umstieg nicht unnötig belasten. Aber wie gesagt: Alles nur Spekulation.

Preview

Wer einen Vorgeschmack auf die neue User Experience von GNOME3 bekommen will, wird bei Ubuntu zumindest in der Default-Ausstattung nicht so recht glücklich werden. In den Haupt-Repositories findet sich gerade einmal eine mehrere Monate alte Release der Software, angesichts deren aktuelle rasch vorangetriebener Entwicklung mutet diese geradezu steinzeitlich an. Immerhin lässt sich hier mit dem Ricotz-PPA abhelfen, das täglich neue Versionen aus dem Code-Verzeichnis der GNOME Shell liefert.

Screenshot: Andreas Proschofsky

Trotz der im Test angesprochenen Kritikpunkte erweist sich Ubuntu 10.04 nicht nur als ein deutlicher Fortschritt gegenüber der Vorgängerversion, es ist auch fraglos die beste Release die die Distribution bisher abgeliefert hat. Vor allem die vielen kleineren und größeren Usability-Verbesserungen gefallen, die Installation geht eigentlich kaum mehr einfacher, der neue Look ist zumindest ein klarer Fortschritt. Neuen NutzerInnen macht man den Ubuntu-Einstieg so noch ein Stück verlockender, bestehende UserInnen der Distribution werden wohl schon alleine wegen den Verbesserungen von GNOME 2.30 und der besseren Boot-Zeit upgraden.

Hoffnungen

Zu hoffen bleibt allerdings, dass Ubuntu künftig die Zusammenarbeit mit den Upstream-Projekten verbessert, denn so positiv die verstärkten Desktop-Entwicklungsaktivitäten auch sind, enden sie doch nur all zu oft in Alleingängen der Distribution. Umgekehrt kommen aktuelle Upstream-Entwicklungen wie die GNOME Shell in den Planungen von Ubuntu praktisch überhaupt nicht vor, geschweige denn, dass man sich daran beteiligen würde. Von einer besseren Kooperation würde schlussendlich alle Seiten profitieren - nicht zuletzt auch Ubuntu selbst. Unerfreuliche Inkonsistenzen wie sie derzeit etwa bei den "Applications Indicators" unübersehbar sind, könnte man sich mit der Unterstützung externer EntwicklerInnen wohl ersparen.

Download

Ubuntu 10.04 kann derzeit in Form des ersten Release Candidates von der Seite des Projekts heruntergeladen werden. Wie gewohnt gibt es auch wieder eine Reihe von alternativen Varianten, darunter etwas das KDE-4.4.2-basierte Kubuntu oder das auf den schlanken Xfce setzende Xubuntu. Die fertige Version von "Lucid Lynx" soll bereits am 29. April freigegeben werden, bis dahin konzentriert man sich noch auf die Beseitigung verbliebener Bugs. (Andreas Proschofsky, derStandard.at, 23.04.10)

Screenshot: Andreas Proschofsky