Wien - Archäologinnen und Archäologen müssen das letzte Kapitel der Stadtgeschichte der antiken Metropole Ephesos neu schreiben. Wie Grabungen der vergangenen Jahre und eine neuerliche Aufarbeitung des bisherigen Fundmaterials gezeigt haben, wurde die Stadt - im Gegensatz zur bisherigen Ansicht - im 7. Jahrhundert nicht verlassen. Vielmehr blieben die byzantinischen Griechen in Ephesos und lebten während des Mittelalters in Koexistenz mit den türkischen Selcuken, die sich im nur zwei Kilometer entfernten Ayasoluk angesiedelt hatten, erklärte die Direktorin des Österreichischen Archäologischen Instituts (ÖAI), Sabine Ladstätter.

Stadt von Krise betroffen

Im 7. Jahrhundert war Ephesos, zu ihrer Blütezeit eine der bedeutendsten Städte des Altertums, von einer schweren Krise betroffen: Die Archäologen fanden Zerstörungshorizonte mit Brandschichten. Was die Auslöser dafür waren, wissen die Forscher bisher noch nicht genau, historische Quellen liefern Erklärungen, die von Perser- und Arabereinfällen bis zu Erdbeben reichen, erklärte Ladstätter. Bisher sei man jedenfalls davon ausgegangen, dass die griechisch sprechenden, christlichen Byzantiner die Stadt zu dieser Zeit verließen und sich um die Johannesbasilika in Ayasoluk, dem heutigen Selcuk in der Türkei, ansiedelten, wo sie von den später einwandernden Selcuken verdrängt wurden.

"Ganz anderes, faszinierendes Bild"

Im Zuge eines Forschungsschwerpunkts von ÖAI und Österreichischer Akademie der Wissenschaften (ÖAW) zur Erforschung des byzantinischen Ephesos habe sich aber ein "ganz anderes, faszinierendes Bild" gezeigt: "Die byzantinischen Griechen blieben im antiken Ephesos und parallel dazu bildete sich eine türkische Siedlung, die ihre Blütezeit unter der Dynastie der Aydinogullari im 14. Jahrhundert erlebte. Und beide standen während des gesamten Mittelalters hindurch in intensiven Handelsbeziehungen zu den Venezianern und Genuesen", so Ladstätter. Dabei dürfte es sich um eine - der Bedeutung des Ortes als Handelsmetropole entsprechende - pragmatische Koexistenz gehandelt haben. So wurde etwa der Hafen der Stadt von beiden Bevölkerungsgruppen benützt.

Abgesehen von der regen Handelstätigkeit, bei der auch Armenier und Juden aktiv beteiligt waren, dürfte die Trennung zwischen den beiden Städten sehr strikt gewesen sein. So gebe es in Ephesos keine islamischen Gotteshäuser oder türkische Bäder. Solche Bauwerke würden sich ausschließlich auf Ayasoluk konzentrieren. Auch in Stein eingravierte arabische oder türkische Brettspiele fänden sich nur in Ayasoluk.

Eine geschlossene Forschungslücke

Die postulierte Siedlungslücke in Ephesos war letztlich eine "Forschungslücke", weil man bis vor wenigen Jahren noch kein frühmittelalterliches Fundmaterial datieren konnte, sagte Ladstätter. So habe man nur ganz wenige, für die Datierung gut geeignete Münzen gefunden, weil nach der Krise im 7. Jahrhundert offenbar der Münzumlauf stark zurückgegangen sei. Bis vor kurzem wusste man auch nicht genau, wie die Keramik des 7. bis 9. Jahrhunderts ausgesehen hat. Doch immer feinere Grabungsmethoden und Fortschritte in der Keramikchronologie hätten ermöglicht, diese Forschungslücke zu schließen - "langsam erkennt man, dass nicht die materielle Kultur von Ephesos versiegte, sondern die Funde einfach nicht erkannt oder falsch eingeordnet wurden", so Ladstätter.

Beschrieben werden die neuen archäologischen Erkenntnisse in dem von Ladstätter herausgegebenen Buch "Neue Forschungen zur Kuretenstrasse von Ephesos" (Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften), das Dienstag Abend in Wien präsentiert wurde. Gleichzeitig wurden zwei weitere Bücher über Ephesos vom ÖAW-Verlag vorgestellt: Der ehemalige Leiter der Ausgrabungen in Ephesos, Friedrich Krinzinger, hat die Forschungsergebnisse über die Wohneinheiten 1 und 2 im berühmten Hanghaus 2 - Luxus-Wohnungen aus der römischen Kaiserzeit - zusammengefasst. Und Andrea Pülz widmet sich dem Buch "Goldfunde aus dem Artemision von Ephesos" den mehr als 700 Goldobjekten, die bei Grabungen in den Jahren 1965 bis 1994 im Artemision entdeckt wurden. (APA)