"Erschreckend, was verbal alles möglich ist": Ministerin Schmied

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Prominenter Besuch bei "Auslandia", dem Schultheaterprojekt im Flakturm Arenbergpark in Wien: Bildungsministerin Claudia Schmied verfolgte das Stück und sprach im Anschluss mit Johanna Tirnthal und Alicia Prager vom SCHÜLERStandard.

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STANDARD: Wann beginnt Alltagsrassismus für Sie?

Schmied: Das kann man nicht so genau sagen, weil er oft schleichend beginnt. Etwa mit scheinbar harmlosen Witzen, die Rassismus rasch salonfähig machen. Da ist Achtsamkeit gefordert.

STANDARD: Haben Sie selbst Erfahrungen mit Rassismus gemacht?

Schmied: Unmittelbar gegenüber Personen habe ich das bis jetzt nicht erlebt. Was ich aber immer wieder wahrnehme, ist Rassismus in der Sprache, oft sogar im Parlament. Es ist für mich erschreckend, was verbal alles möglich ist. Zum Beispiel, dass Kriminalität oft mit Ausländern in Verbindung gebracht wird. Oder wenn es um Schulprobleme geht und der Grund bei Kindern mit Migrationshintergrund gesucht wird. Wir müssen leider feststellen, dass sich auch ganz viele Kinder mit deutscher Muttersprache schwertun - also offensichtlich zu Hause zu wenig gesprochen wird. Solche Themen werden oft eins zu eins auf Migration übertragen.

STANDARD: Wenn man sich ein Land wie Auslandia im Idealfall vorstellt: Welche Schritte müssten gegangen werden, damit es wenigstens ansatzweise funktioniert?

Schmied: Es ist wichtig, Auslandia schon im Kleinen zu denken. Wenn es sich jeder von uns vornimmt, kann die Welt morgen schon ein kleines Stück anders sein. Ich glaube nicht an die großen Veränderungen auf einmal, aber ich glaube dran, dass jeder wesentliche Beiträge leisten kann.

STANDARD: Wie kann man Rassismus an Schulen minimieren?

Schmied: Ich bin davon überzeugt, dass Theater Unglaubliches leisten kann. Wenn ich Schüler frage, ob sich durch die Theaterarbeit etwas verändert hat, dann bekomme ich meist die Antwort: "Ja. Wir sind uns der Themen bewusster, wir sind wachsamer und achtsamer." Ich glaube, da beginnt es - mit Sensibilität und der eigenen Wahrnehmung.

STANDARD:  Durch die Einführung der Gesamtschule würden sich die Nationalitäten stärker vermischen. Derzeit gibt es an Hauptschulen mehr Einwanderer, und es wird von mehr Konflikten berichtet.

Schmied: Ich bin da vorsichtig mit Zuordnungen. Wir müssen stark unterscheiden zwischen ländlichem und städtischem Bereich - und selbst in der Stadt noch zwischen den Bezirken. Vor kurzem habe ich die Europaschule in Graz besucht, die in einem sehr schwierigen Stadtteil liegt. Dort gelingt Schule aber großartig. Probleme darf man nicht verallgemeinern. Es ist wichtig, dass wir mit ihnen verantwortungsvoll umgehen.

SSTANDARD: Sie wollen mehr bilinguale Schulen einführen und mehr Lehrer mit Migrationshintergrund einstellen. Was tut sich da?

Schmied: Wir werben heftig. Ich bin im ganzen Land unterwegs, um auch den jungen Leuten zu vermitteln, dass der Lehrerberuf ein Beruf mit großer Zukunft ist. Wir setzen alles daran, dass Lehrer Karriere machen können und dass ihr Image steigt. Ich habe auch vor, Partnerschulen im Ausland, wie etwa in Istanbul, besser zu nutzen. Lehrer, die eine türkische Zuwanderungsgeschichte haben, könnten ein bis zwei Semester dort verbringen, um die Kultur besser verstehen zu können. Es wäre toll, wenn wir Menschen, die aus der Türkei zu uns gekommen sind, dafür gewinnen könnten, hier als Lehrer zu arbeiten. Ich glaube, dass sich Kinder mit diesem kulturellem Hintergrund dann bei uns auch leichter tun würden.

STANDARD: Im Schülerparlament wurde diskutiert, ob der Holocaust weniger unterrichtet werden sollte. Wie viel, glauben Sie, wissen Schüler heute über autoritäre Systeme?

Schmied: Ich glaube, viel zu wenig. Das ist auch ein Bereich, bei dem man nie sagen kann, es sei abgeschlossen. Gerade autoritäre Systeme entstehen schleichend. Der Übergang ist fließend, sodass man gar nicht merkt, wo es kippt.

STANDARD: Es gibt immer mehr junge Rechtswähler. Wie könnte man dem entgegenwirken?

Schmied: Es ist wichtig, Probleme anzusprechen. Es hat keinen Sinn, etwas zu leugnen oder Strömungen wie die FPÖ auszugrenzen. Wir müssen aber auch ein Stück weiter gehen - Probleme erkennen und an der Lösung arbeiten. Das ist auch der Unterschied zu den rechtspopulistischen Parteien. Wir haben dass auch in Ungarn gesehen, wo immer nur die Probleme angesprochen wurden, aber kein Schritt in Richtung Lösung erfolgt ist. Politisch können wir nur erfolgreich sein, wenn wir die Menschen dort ansprechen, wo ihre Ängste und Sorgen sind. Deshalb ist dass Thema Zuwanderung, das wir als Gesellschaft viel zu lange ignoriert haben, ein Schlüsselthema in der Zukunft.

STANDARD:  Geht die Politik in zu extreme Richtungen?

Schmied: Die Errungenschaften, die wir heute haben, Demokratie, Meinungsfreiheit, auch Freiheit der Kunst, sind nicht selbstverständlich und auch nicht irreversibel. Darum ist es wichtig, dass wir dafür jeden Tag kämpfen.(DER STANDARD Printausgabe, 21.4.2010)