"Zuweilen neigen die europäischen Länder dazu zu vergessen, dass Recht und internationale Normen sich nur mit Hilfe der Macht durchsetzen lassen. Und gelegentlich vergessen Amerikaner, dass Macht nur von Dauer sein kann, wenn sie legitimiert ist.“

Wie wahr. Das Zitat stammt von Javier Solana. Der Hohe Beauftragte für die Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union hat damit bei einer viel beachteten Rede vor wenigen Tagen den unerfreulichen Zustand der transatlantischen Beziehungen auf eine Formel gebracht. Er hielt sie bezeichnenderweise an der US-Eliteuniversität Harvard. In Europa ging sie unter.

Seine Folgerung: „Tatsächlich sind Recht und Macht aber zwei Seiten der gleichen Medaille.“ Niemand auf der Welt könne daran mehr Interesse haben als die Demokratien in den USA und Europa selbst, weil es nirgendwo sonst eine ähnlich große Übereinstimmung bei Grundwerten gibt. Allen sonstigen Interessensgegensätzen zum Trotz.

Solanas Appell gegen die Vergesslichkeit auf beiden Seiten des Atlantiks kommt gerade nach dem Sturz von Saddam Husseins Terrorregime im Irak große Bedeutung zu. Leider spricht derzeit nicht sehr viel dafür, dass er von US-Präsident George W. Bush und den Staatsmännern der wichtigsten EU-Länder gehört wird. Eher besteht die Gefahr, dass sich die Fronten noch mehr verhärten. Weitere Alleingänge der USA, etwa gegen Syrien, sind wahrscheinlicher als dass es gelingen könnte, das gestörte transatlantische Gefüge wieder zu ordnen und andere als unilaterale militärische Lösungen zu finden.

Eine solche Entwicklung geriete vor allem für die Europäer im Bündnis und in der Union zur komplizierten Bewährungsprobe, ob ihnen das gefällt oder nicht. Nicht, dass der US-Feldzug gegen den Irak allein durch den Umstand des überraschend schnellen Erfolges im Nachhinein voll gerechtfertigt und die völkerrechtlichen Bedenken einfach vom Tisch gewischt werden könnten, wie das manche darstellen. Aber es wird für die europäischen Staaten - voran das „Friedenslager“ Frankreich und Deutschland - auch nicht reichen, die Amerikaner auf Dauer an den Pranger zu stellen und für die Missachtung des UN-Sicherheitsrates zu geißeln. Daran wird auch die von Meinungsforschern gemessene Empörung der großen Mehrheit der Bevölkerung in Europa wenig ändern.

Denn irgendwann werden dieselben Bürger, die jetzt „ihren“ friedlichen Gerhard Schröder oder Jacques Chirac loben, sich zu fragen beginnen, ob Handlungsunfähigkeit und Einflusslosigkeit der europäischen Weisheit letzter Schluss sein kann. Wie Politik der Europäer in eine Sackgasse geführt wird, haben gerade der deutsche Bundeskanzler und der französische Staatspräsident vorgezeigt: Ein Auftritt in St. Petersburg, der sie beide in einer Achse mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zeigte, der die amerikanischen „Okkupationskräfte“ beschimpfte, machte kein sehr gutes Bild.

Das Gegenteil wäre richtig und notwendig: Angeführt von den politisch stärksten Staaten Deutschland und Frankreich sollten die Europäer gerade in Bezug auf den Irak aktiv werden und großzügiges Engagement bei der humanitären Hilfe anbieten. Ob dies im Rahmen der UNO oder zunächst doch nur im Verbund der Nato geschehen soll, wie das Generalsekretär George Robertson bereits vorgeschlagen hat, müsste zunächst zweitrangig sein.

Die Richtung muss heißen: Die Macht soll zurückfinden zum Recht. Ein falscher Weg ist es, jede gemeinsame europäische Beteiligung mit ultimativen Forderungen an Washington zu verknüpfen. Das hat schon vor dem Irakkrieg nicht funktioniert und wird weiter wirkungslos bleiben. Es würde nur den Riss im europäischen Lager vergrößern.

Erstaunlich, dass gerade Chirac und Schröder so wenig pragmatisch sind. Die beiden waren es, die den USA in der Nato in den Kosovokrieg gefolgt sind, ganz ohne UN-Mandat, als Schlusspunkt der Balkankriege mit geschätzten 250.000 Toten.(DER STANDARD, Printausgabe, 15.4.2003)