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Eine Arbeit von Brit-Art-Superstar Damien Hirst auf dem Weg in die neuen Räume von Londons County Hall.

Foto: APA/EPA/PA/Johnny Green

Englands rebellische junge Kunstszene zieht in einen prunkvollen Empire-Koloss um. Mit der eben eröffneten Saatchi-Galerie, monieren die Kritiker, verliert die "BritArt" das Provokative.

Ein Schock ist es immer noch.

London – Für die einen ist er ein Sammlergenie, ein Mäzen, der jungen Rebellen zum Durchbruch verhilft. Für andere ist er ein raffinierter Werbeprofi, der noch den faulsten Apfelbaum zum blühenden Obstgarten hochjubelt und dabei kräftig kassiert. Unumstritten war Charles Saatchi nie.

1988 entdeckte der Londoner Millionär den Kunststudenten Damien Hirst, einen der Kreativsten seiner Generation. In den 90ern wurden Hirst, Tracey Emin und die Brüder Chapman zu Aushängeschildern der BritArt, der schrillen britischen Szene. Saatchi war der Gönner, der den Rebellen ein werbewirksames Etikett aufklebte.

Bisher stellte der Großsammler die Hirsts, Emins und Chapmans in einer stillgelegten Farbenfabrik im Norden Londons zur Schau. Jetzt hat Saatchi seinen Künstlern ein prächtiges Museum spendiert, eine ganze Etage in der Londoner County Hall. Diese, gleich neben dem glitzernden Riesenrad an der Themse, erinnert als massiger Steinklotz an verflossene Empire-Zeiten. 1907 am Reißbrett entworfen, diente das Gebäude bis 1986 dem Bürgermeister der Stadt als Domizil. Als Letzter residierte Ken Livingstone in den holzgetäfelten Hallen.

Margaret Thatcher hasste den Labour-Linken so innig, dass sie die Stadtverwaltung kurzerhand auflöste. Pikanterweise ist Livingstone seit drei Jahren wieder Bürgermeister, nur residiert er jetzt in der Nähe der Tower Bridge.

In die County Hall zogen ein Aquarium, eine Dali-Ausstellung, ein McDonald's-Imbiss – und jetzt die Saatchi Gallery. Unter weißen Stuckdecken, vor alten Kaminen, zwischen blank polierten Säulen ist alles vertreten, was BritArt ausmacht. Hirsts Tigerhai in Formaldehyd. Seine zersägten Kuhleiber, ausgestellt in zwölf Glaskästen. "My Bed" von Tracey Emin, ein ungemachtes Bett, vor dem zerknüllte Taschentücher, Wodkaflaschen und Tablettenschachteln einen wirren Haufen bilden.

Richard Wilsons "20:50", ein See aus Altöl, in dem sich die Decke spiegelt. Ein Kuhschädel, um den Schmeißfliegen schwirren. Das Kultauto "Mini", das einem auf der Marmortreppe entgegenzurollen scheint. Saatchi hat das alles in den 90ern erworben. Zuletzt allerdings ließ das Interesse an seiner Privatgalerie merklich nach. Die Kunsthalle Tate Modern stellte den YBA- Tempel in Nordlondon klar in den Schatten.

Charles Saatchi reagierte, indem er in eine Spitzenlage umzog. Vor der County Hall ballen sich die Touristenmassen, am anderen Themse-Ufer ragt Big Ben auf. "Ein Neunzigerjahre-Museum, leicht angestaubt", stichelt Sarah Kent, Kunstkritikerin von Time Out. Mit dem Umzug ins Empire- Ambiente verliere die BritArt das Provokative und Herausfordernde. "Eine Neunzigerjahre-Story", sagt auch Philip Dodd, Direktor des Institute of Contemporary Arts. Saatchis Galerie widme sich der "jüngeren Vergangenheit".

Umfragen steuern ein nüchternes Stimmungsbild bei. Demnach würden sich nur vier Prozent der Briten über einen Hirst im Büro freuen, 75 Prozent dagegen über einen Picasso. Der Mäzen indes glaubt an den Erfolg.

Saatchi wurde in Bagdad geboren, 1943, als Sohn eines irakisch-jüdischen Textilhändlers. 1947 wanderte die Familie nach England aus. Auf der Insel gründete Charles mit Bruder Maurice eine Werbeagentur. Ein Coup gelang Saatchi & Saatchi 1978 mit einem Poster für Maggie Thatchers Wahlkampf: eine endlose Schlange vorm Arbeitsamt, darüber der doppelsinnige Slogan "Labour isn't working". Als PR-Stratege weiß Charles Saatchi, wie kurzlebig Neuheiten sind. Er gibt es zu: "90 Prozent meiner Sammlung sind vielleicht in zehn Jahren für jeden außer mir wertlos." (DER STANDARD, Printausgabe, 18.4.2003)