Die Trennung von Kirche und Staat, die als Errungenschaft der Aufklärung hochgehalten wird, geht mit staatlichen Einmischungsmöglichkeiten einher. Das ist nur scheinbar ein Widerspruch, denn es bedeutet unter anderem, dass auch Kirchen und ihre Mitarbeiter dem Straf- und dem Zivilrecht unterstehen, wenn sie anderen Schaden zugefügt haben. Im Verständnis der meisten Menschen ist das heutzutage eine Selbstverständlichkeit - und im Zusammenhang mit dem immer breitere Kreise ziehenden Missbrauchsskandal erst recht. In Österreich, Deutschland und anderswo.

Dieser Skandal beutelt derzeit Österreichs Katholiken ebenso wie die deutschen - und jene in anderen Ländern. Doch der staatliche Eingriffswille in die klerikalen Probleme - und in die Konflikte anderer geschlossener Erziehungseinrichtungen - ist im Nachbarstaat doch um einiges ausgeprägter als hierzulande. Das lässt Rückschlüsse auf das jeweilige Nahverhältnis von Kirche und Politik zu: In Österreich ist es eindeutig zu nah.

In Deutschland hat Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FPD) diesbezüglich eine klare Ansage gemacht und Distanz gezeigt: Die "Durchsetzung eines staatlichen Strafanspruchs" für Betroffene sexueller Übergriffe sei eine wichtige Aufgabe, meinte sie, auch bei den sogenannten Altfällen, also wenn die Übergriffe schon vor längerer Zeit stattgefunden haben. Die Sozialdemokratin Sabine Bergmann, die von der schwarz-gelben Regierung in Berlin eingesetzte unabhängige Beauftragte zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs, bekräftigte dies.

Ganz anders in Österreich: Respektvolles Verweisen auf die kirchlich-"unabhängige" Opferbeauftragte Waltraud Klasnic statt forscher Durchgriffswille prägte den runden Tisch zum Thema Missbrauch am vergangenen Dienstag. Klasnic selbst war gar nicht anwesend, aber Familienstaatssekretärin Christine Marek (VP) und Justizministerin Claudia Bandion-Ortner riefen Klasnics Ankündigungen in Erinnerung, sobald Diskussionsteilnehmer das Gespräch auf das Thema Kirche brachten.

Dass die österreichische Regierung vielleicht auch einen eigenen Beauftragten brauchen könnte, wurde nicht einmal angedacht - so als wäre die steirische Altpolitikerin in einer klerikal-staatlichen Doppelfunktion unterwegs.

Kein Wort am runden Tisch auch zu Entschädigungen für Übergriffsbetroffene im klerikalen Bereich: Das ist ein besonderes Versäumnis, gerade weil die Dotierung eines diesbezüglichen Fonds in Österreich - im Unterschied zu Deutschland - von Kirchenseite her bereits zugesagt wurde. Die Auszahlungsmodalitäten aus diesem Topf haben Bandion-Ortner und Marek durchaus zu interessieren: Das Konkordat sieht immerhin gegenseitige Verantwortungsübernahme vor.

Stattdessen lässt die hohe Politik in Österreich jetzt Experten und Zuständige über Missbrauch von Kindern im Allgemeinen beratschlagen. Dagegen ist nichts einzuwenden, es gibt viel zu tun. Doch diese Diskussion geht eindeutig an den Problemen vorbei, die das Thema Missbrauch zuletzt in die Schlagzeilen gebracht hat.

Zu diesen Problemen zählt der Missbrauch von Kindern durch Autoritätspersonen, vor allem durch solche, die die ganze Macht der katholischen Kirche hinter sich hatten - einer Macht, die offenbar immer noch beachtlich und für Ablenkungsmanöver gut ist. (Irene Brickner, DER STANDARD - Printausgabe, 16. April 2010)