Experten glauben nicht daran, dass sich die Suchtkranken vom Karlsplatz wegbewegen werden. Die Zahl der Infizierungen mit HIV oder Hepatitis und auch der Todesfälle werde steigen.

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Ab Juni soll der Karlsplatz umgebaut werden. In einer Aussendung der Stadt Wien am Mittwoch hieß es, dass man künftig ein "modernes, hell und freundlich gestaltetes Ambiente" vorfinden werde. Das hohe Sicherheitsgefühl für alle Benutzer soll im Vordergrund stehen.

Was damit wohl auch gemeint ist: die Suchtkranken, die traditionell am Karlsplatz zugegen sind, sollen nicht länger vor Ort sein. So soll ab Juni kein Spritzentausch für Suchtkranke in der "Streetwork"-Einrichtung in der Westpassage des Karlsplatzes mehr angeboten werden, erfuhr derStandard.at. Und das, obwohl die Einrichtung stark frequentiert wird. Laut eines Factsheets von "Streetwork" vom Jänner 2010 sind die Kontakte zu den Suchtkranken in den vergangenen Monaten gestiegen. Im Dezember vergangenen Jahres waren 797 Kontakte pro Tag der Durchschnitt.

Betroffene "ins System integrieren"

Seitens der Sucht- und Drogenkoordination Wien heißt es, man wolle die Gelegenheit des Umbaus nutzen, um die betroffenen Personen "ins System zu integrieren" und in die Tageszentren umzuleiten. Es sei keine Rede davon, dass die Leute vertrieben werden, sondern man wolle ihnen bessere Betreuungsverhältnisse anbieten, sagt der Wiener Drogenkoordinator Michael Dressel.

Aufrechterhaltung des Betriebs nicht möglich

Außerdem sei die Aufrechterhaltung des Betriebs in der Karlsplatzpassage wegen der umfangreichen Umbauarbeiten nicht mehr möglich. Weiterhin soll es zwar Streetwork mit derselben Anzahl an Mitarbeitern am Karlsplatz geben - jedoch ohne Spritzentausch, und die Arbeit soll wieder verstärkt auf der Straße stattfinden. Zusätzlich sollen die Suchtkranken in der Einrichtung "Ganslwirt" in der Gumpendorferstraße betreut werden. Diese Einrichtung gibt es schon seit rund 20 Jahren. Und es wird ein neues Zentrum mit dem Namen "TaBeNo" am Wiedner Gürtel in der Nähe des neuen Hauptbahnhofs geben, das im Juni seine Pforten öffnet.

An beiden Orten soll der Spritzentausch im selben Ausmaß weitergeführt werden, kündigt Heike Hromatka, Pressesprecherin der Sucht- und Drogenkoordination Wien an. Drogenkoordinator Dressel betont, die Kapazitäten in den Einrichtungen würden erweitert, nicht verringert. Und sollte es nicht gelingen, die Suchtkranken vom Karlsplatz in die Alternativ-Einrichtungen umzuleiten, werde man sich wieder etwas Neues überlegen.

"Dramatische Gesundheitsbedenken"

Experten aus den Wiener Drogenhilfeeinrichtungen zeigen sich im Gespräch mit derStandard.at jedenfalls skeptisch. Sie glauben nicht daran, dass sich die Suchtkranken vom Karlsplatz wegbewegen werden und haben "dramatische Gesundheitsbedenken". Die Zahl der Infizierungen mit HIV und Hepatitis und auch der Todesfälle werde steigen, meinen die Experten. Die benutzten Spritzen würden nicht mehr zurückgebracht und somit in Parks und öffentlichen Toiletten zu finden sein. Die neue Einrichtung am Wiedner Gürtel sei zwar zu begrüßen, aber sie würde nicht so "niederschwellig" zugänglich sein, wie die "Streetwork"-Einrichtung am Karlsplatz.

SPÖ war eigentlich für den Spritzentausch am Karlsplatz

Im März war die Stadt Wien noch recht überzeugt vom Spritzentausch am Karlsplatz. Der von der FPÖ kritisierte Spritzentausch sei mehr als sinnvoll, sagte Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely (SPÖ) in einer Gemeinderatssitzung. Durch eine Einsparung desselben würde nicht der Drogenkonsum verringert, sondern die Infektionen gesteigert. (rwh, derStandard.at, 16.4.2010)