Ein Sujet, das Greenpeace zum Weiterschicken entworfen hat.

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Nächste Runde im Protest: Twittermeldungen vor der deutschen Nestlé-Zentrale.

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Ein Spot, ein soziales Netzwerk und ein ungeschickt agierender Konzern: Das sind die Ingredienzen, die eine David gegen Goliath-Geschichte ausmachen. Am Ende stehen ein PR-Debakel der Superlative und ein Imageschaden, der sich nicht in Zahlen gießen lässt. "Manche meinen, wir haben damit eine neue Ära eingeläutet", heißt es ganz "unbescheiden" bei Greenpeace. Kommentatoren sprechen vom ersten "Facebook-Krieg", der in die Geschichte des Web 2.0 eingehen wird.

Orang-Utans als Aufhänger

"Wir wollten Druck übers Internet aufbauen", erläutert Jan Haase von Greenpeace Deutschland im Gespräch mit etat.at. Das ist gelungen. Wenn die Umweltorganisation kampagnisiert, dann wird es plakativ: "Jeder Biss in einen Kitkat-Riegel zerstört das Lebensumfeld der letzten frei lebenden Orang-Utans noch ein wenig mehr", ließ das Unternehmen zum Auftakt einer weltweiten Kampagne, die Mitte März ihren Anfang nahm, verlauten. Um diese Botschaft zu untermauern, hat Greenpeace einen blutigen Spot produziert. Zu sehen ist ein Mann, der genüsslich in den Finger eines Affen beißt. In Anlehnung an die KitKat-Werbung, die entsprechend modifiziert wurde: Schoko mutiert zu einem Finger.

Innerhalb weniger Tage verbreitete sich das Video tausendfach; und ein Weltkonzern wie Nestlé steht am Pranger. Der Protest kulminiert in Boykottmaßnahmen. Nestlé produziert mit KitKat einen Schokoriegel, für den indonesisches Palmöl zum Einsatz kommt. Für die Gewinnung werde der Regenwald - und damit das Rückzugsgebiet der Orang-Utans - gerodet, so die Kritik. "Es geht darum, die Verbraucher mit Nestlé ins Gespräch zu bringen", sagt Haase. Die Intention: Zuerst auf schnelle Weise Aufmerksamkeit erregen und dann die User mit Hintergrundinfos versorgen.

Nestlé ließ Spot löschen

Greenpeace hat die Botschaft via Internet transportiert. Mittels Video, das man auf dem YouTube-Kanal und den Seiten der Organisation platzierte. Auf Facebook wurde es auf der offiziellen Fanseite von KitKat gepostet. Nach Interventionen von Nestlé nahm YouTube den Spot kurz offline. Der Konzern monierte "Urheberrechtsverletzungen", setze damit aber einen Sturm der Entrüstung in Gang. Aus KitKat wurde "Killer". Auch die KitKat-Fanseite auf Facebook war vorübergehend nicht mehr erreichbar - um böse User-Kommentare zu entfernen. Nestlés Zensurmaßnahmen hatten eine noch raschere Verbreitung des Spots und tausende Protest-Mails zur Folge.

"Sie haben den ersten Ruderschlag getan, aber das Boot ist noch nicht in Bewegung", sagt Haase auf die Frage, ob Nestlé schon zurückgerudert sei. Der Konzern habe den Liefervertrag mit Sinar Mas, dem inkriminierten Zulieferer, zwar gekündigt, beziehe jedoch weiterhin über andere Firmen das Palmöl. "Das Problem hat sich also nur verlagert", so Haase, der erzählt, dass Greenpeace mit Nestlé schon seit vielen Jahren wegen dem Palmöl im Clinch liege. Nach Bedenken der Organisation hätten etwa Unternehmen wie Unilever oder Kraft ihre Verträge bereits gekündigt. Nur Nestlé, der weltweit größte Lebensmittelkonzern, habe nicht reagiert. Und bekommt das jetzt zu spüren.

Umstellung auf Schiene

Bei Nestlé selbst veweist man auf den Brief, den Peter Brabeck-Letmath, Chef des Konzerns, an Greenpeace geschickt hat. Darin versichert Brabeck-Letmath, dass Nestlé alle Bemühungen zum Schutz des Regenwaldes unterstützen werde. Das Unternehmen kaufe kein Palmöl mehr von Sinar Mas und habe die anderen Lieferanten informiert, dass eine nicht nachhaltige Produktionsweise nicht toleriert werde. 

Nestlé international will "spätestens ab 2015 nur noch zertifiziertes, nachhaltig angebautes Palmöl verwenden", wie es in dem Brief heißt. Die Umstellung müsse schrittweise erfolgen, argumentiert der Konzern, da der Markt für zertifiziertes Palmöl derzeit noch nicht hinreichend entwickelt sei. Nestlé bezieht laut eigenen Angaben 0,7 Prozent des weltweit produzierten Palmöls.

Was lief aus PR-Sicht falsch?

"Hohe Bekanntheit in Verbindung mit einer schwach ausgeprägten Vertrauenswürdigkeit ergibt eine perfekte Zielscheibe für Kritik", sagt Stefan Bachleitner, Managing Partner der PR-Agentur Skills Group, zur lancierten Greenpeace-Kampagne. Greenpeace habe sich "sehr bewusst dafür entschieden, die Kritik an den ökologischen Folgen des Palmöl-Anbaus über eine Konzernmarke wie KitKat zu transportieren", so der PR-Experte in seiner Einschätzung gegenüber etat.at. Je anschaulicher, desto besser.

Dass der Angriff über soziale Medien erfolgte, sei kein Zufall gewesen. Dort ist Nestlé "kein Weltkonzern, sondern eher ein Leichtgewicht", meint Bachleitner, der auch das Krisenmanagement des Konzerns für miserabel hält: "Statt den Usern auf Augenhöhe zu begegnen, wurde versucht, Beiträge zu zensurieren." Eine solche Strategie der Medienkontrolle sei heute zum Scheitern verurteilt. Die Macht der Konsumenten, instrumentalisiert über eine Plattform, kann eine Weltmarke in die Schranken weisen.

Zensur und Behandlung von oben herab

"Eine Reihe von absoluten Social Media No-Gos" identifiziert auch Sigrid Krupica von der Agentur Grayling: "Kardinalfehler Nummer eins von Nestlé war es, das britische YouTube-Video löschen zu lassen." Die Rechnung für Zensur und Behandlung von oben herab zahle man in Social Media sofort, so Krupica. Vollkommen kontraproduktiv war für sie auch der Nestlé-Kommentar auf der eigenen Facebook-Seite: "Thanks for the lesson in manners. Consider yourself embraced. But it's our page, we set the rules, it was ever thus."

Weiters sei der Versuch, die Kommunikation auf die Corporate Webseite von Nestlé zu verlagern, falsch gewesen, kritisiert sie. Antworten müssten dort gegeben werden, wo der Dialog stattfindet, nämlich in diesem Fall auf Facebook. "Lässt man sich auf dieses Medium ein, sollte man Menschen damit betrauen, die damit umgehen können." Klare Verantwortlichkeiten müssten festgelegt werden, rät Krupica: "Wer, wann und wie im Ernstfall reagiert."

Glaubwürdigkeit verspielt

Nicole Bäck von Ecker & Partner hält die Greenpeace-Aktion für eine "klassische NGO-Kampagne gegen einen Multi". Im Jahr 2010 finde dies halt im Netz statt: "Dort werden Bilder geschaffen." Nestlé habe wichtige Grundregeln der Krisenkommunikation nicht eingehalten: "Sie haben gelogen beziehungsweise nicht die ganze Wahrheit gesagt." So wurde jegliche Glaubwürdigkeit verspielt. Durch die Nichtkommunikation gingen die Wogen zusätzlich hoch: "Es geht dabei nicht um Rechtfertigung, sondern um Aufklärung".

Durch die Löschung des Videos habe Nestlé Greenpeace "einen großen Gefallen" getan, so Bäck, "erst dadurch ist die Aktion von online auf offline gesprungen". Die Community reagiere auf nichts allergischer als auf Zensur, und: "Böse Kommentare auf einer Facebook-Seite werden von bei weitem weniger Menschen wahrgenommen als die Berichterstattung über die Löschung."

Vor Nestlé-Zentrale getwittert

Dass der "Krieg" zwischen Greenpeace und Nestlé in die nächste Runde gehen wird und dass dabei wieder soziale Plattformen als "Waffen" eingesetzt werden, ist klar. Weitere Protestmaßnahmen sind schon auf Schiene, bestätigt Jan Haase. Am Donnerstag in der Früh haben sich Greenpeace-Aktivisten vor der deutschen Nestlé-Zentrale in Frankfurt positioniert. Auf einer Großbildleinwand sind Twittermeldungen, die über den Greenpeace-Kanal einlangen, zu sehen. Teil des Aktionismus ist auch ein 25 Meter breites Transparent, das auf der Fassade des Konzerns befestigt wurde.

"Propaganda ohne Rücksicht auf Verluste"

Mittlerweile werden jedoch kritische Stimmen laut, die Greenpeace "Propaganda ohne Rücksicht auf Verluste" und einen Missbrauch des Web 2.0 vorwerfen. Diese Untertöne nehme Greenpeace ernst, versichert Haase und verspricht noch mehr Transparenz: Wer die Massen mobilisiere, müsse verantwortungsvoll mit dieser Macht umgehen. Sonst könnte sich die David gegen Goliath-Geschichte umdrehen - und Greenpeace wird vom Jäger zum Gejagten. (Oliver Mark, derStandard.at, 14.4.2010)