Ein schweres Erdbeben hat am Mittwoch die Gegend nördlich von Tibet erschüttert. Hunderte Menschen starben, tausende wurden verletzt. Die Behörden reagierten so schnell wie noch nie nach Katastrophen
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Den ersten Rettern bot sich beim Anflug ein Anblick völliger Verwüstung. "Alles außerhalb des Flughafens war zerstört" , berichtete ein Soldat. Auf den Verbindungsstraßen zur 18 Kilometer entfernten, schwer zerstörten Kreisstadt Jiegu (tibetisch: Gyegu) klafften Spalten. Die Asphaltdecke war zerborsten, Straßendämme abgerutscht, Brücken, tibetische Tempel und Klöster beschädigt, Tankstellen, Strom- und Telefonmasten umgestürzt.
Viele Menschen waren noch zu Hause oder frühstückten gerade
Chinas tibetisches Hinterland war am Mittwoch früh erneut von einem Erdbeben der Stärke 7,1 getroffen worden. Es erschütterte um 7.49 Uhr eine der abgelegensten Regionen von Süd-Qinghai, wo 97 Prozent der Bevölkerung ethnische Tibeter sind. Viele Menschen waren noch zu Hause oder frühstückten gerade. Ihre Kinder saßen schon in den Schulen, wo der Unterricht um halb acht Uhr begann. Die meisten der bis gestern Nacht geborgenen 400 Toten und mehr als 10.000 Verletzten wurden von ihren einfach gebauten Holz- und Lehmhäusern erschlagen und verschüttet. Jüngsten Angaben des Staatsfernsehens zufolge kamen 617 Menschen ums Leben.
Epizentrum lag in den unbewohnten Bergen
Das Epizentrum lag in den unbewohnten Bergen. Die Kraft des Bebens aus 33 Kilometer Tiefe pflanzte sich in die 30 Kilometer westlich gelegene Kreisstadt Jiegu fort. Dort stürzten 85 Prozent der Häuser ein und begruben viele der 28.000 Einwohner. Das Städtchen ist politisches und wirtschaftliches Zentrum des vom Beben betroffenen Kreises Yushu.
Rettungsmaßnahmen liefen so schnell an wie noch nie zuvor
Die Rettungsmaßnahmen liefen so schnell und koordiniert an wie noch nie zuvor bei derartigen Katastrophen. Bis zum Nachmittag waren rund 5000 Soldaten, Mediziner und Rotkreuzhelfer ins Bebengebiet unterwegs. Bei Minus-Temperaturen, die erst mittags auf vier Grad stiegen, mussten die Helfer so viel Verletzte wie möglich bergen.
Risse an Stausee
Ständige Nachbeben um Stärke sechs erschwerten zudem die Rettungsarbeiten. Das Hochplateau liegt durchschnittlich auf 4000 Meter über dem Meeresspiegel. Experten versuchten währenddessen den Schaden an einem Stausee in der Nähe des Epizentrums abzuschätzen, da die Staumauer Risse zeigte.
Trotz Vorbeben nicht gewarnt
Für erregte Debatten im Internet, aber auch im Fernsehen sorgte eine Nachricht, dass es um 5.39 Uhr zwei Stunden vor dem Großbeben bereits ein Vorbeben der Stärke 4,7 in sechs Kilometer Tiefe gegeben hatte.
Einige Bewohner hatten es gespürt, rannten nach draußen und überlebten. Die rund um die Uhr besetzte Erdbebenbehörde von Qinghai hätte keinen Alarm geschlagen. Seit 2009 hat es in der Gegend nur zwei starke Beben gegeben, weniger als in den Jahren davor. Experten fürchten, dass nun wieder eine aktive Phase beginnen könnte. (Johnny Erling aus China, DER STANDARD Printausgabe 15.4.2009)