Ein Regisseur, der schnöde Wirklichkeiten stets durch Schönheit zu entgrenzen wusste: Werner Schroeter, 2008 in Wien bei der ihm zu Ehren ausgerichteten Galavorstellung der Viennale.

Foto: Robert Newald

Wien - Die Ahnung eines Abschieds von Werner Schroeter hielt nun bereits seit eineinhalb Jahren an. Auf dem Filmfestival von Venedig wurde er 2008 für seinen Film Diese Nacht mit einem extra ins Leben gerufenen Preis für sein Lebenswerk geehrt; Schon damals war er durch seine Krebserkrankung merkbar gezeichnet, ein fragiler, würdevoller Mann von hagerer Gestalt. Die Viennale ehrte ihn im selben Jahr mit einem Tribute; auf der diesjährigen Berlinale wurde er mit einem Teddy ausgezeichnet - Rosa von Praunheim, sein langjähriger früherer Lebenspartner, überreichte den Preis.

Nun hat Werner Schroeter den Kampf gegen seine Krankheit verloren - "der größte marginale Filmemacher des deutschen Kinos" , wie ihn Thomas Elsaesser einmal bezeichnet hat, ist tot. Elsaesser bezog sich mit diesem Satz auf den Kontext des Neuen Deutschen Films eines Fassbinders, Wenders' und Herzogs, unter denen Schroeter zeitlebens ein Außenseiter blieb. Ein selbsternannter Außenseiter, wohlgemerkt: Schroeter, der seine Karriere in den späten 1960ern mit experimentellen Super-8-Filmen begonnen hat, beharrte auf seinem Underground-Status - auch noch, als er abendfüllende Filme drehte.

Als ein Erweckungerlebnis des 1945 im thüringischen Georgenthal Geborenen gilt nicht etwa der Besuch der Münchner Filmhochschule, wo er nur ganze 14 Tage verbracht haben soll, sondern der Besuch des belgischen Knokke-Festivals, der ihn mit der internationalen Filmavantgarde zusammenführte. Schon seine ersten Arbeiten waren von einem lyrischen Geist beseelt. "Ausdrucksfilme" - so nannte man das damals - wie Callas Walking Lucia, in dem er aus Fotografien der Operndiva eine Montageserie fertigte. Die Intensität ihrer gestischen Präsenz und Ausdruckskraft faszinierte ihn, ein Leben lang. Auch in seinen Filmen hielt er Sensationen stets höher als erzählerischen Zusammenhalt: Schroeter schuf allegorische Wunderkammern, in denen das Alte mit dem Neuen überraschende Allianzen einging.

Romantische Gegenwart

Als Ästhetizist und Romantiker des deutschen Kinos wurde er öfters bezeichnet, was stimmt, wenn man darunter nichts Rückwärtsgewandtes versteht. Ideen wurden von Schroeter nicht einfach reproduziert, sondern an den Bedingungen der Moderne getestet (und dabei auch mit Populärkultur verschränkt). Eine Figur wie Carole (Carole Bouquet) in Tag der Idioten ist etwa ganz zeitgenössisch: Auf die Verkrustungen einer vom Terrorismus der späten 1970er gelähmten Bundesrepublik reagiert sie, indem sie wahllos Nachbarn denunziert.

Palermo oder Wolfsburg ist wiederum ein Film, der bei aller Stilisierung zum Passionsspiel noch heute als Auseinandersetzung mit Fragen von Integration besticht. Ein junger Sizilianer, aus Mangel an Wirtschaftsperspektiven in Deutschland, ersticht einen Mann im Affekt. Die groteske Gerichtsverhandlung verwandelt sich zum politischen Theater, in dem es auch um die Zurichtungen einer Kultur geht, die sich in der Entfremdung verliert. Einem Deutschland, das nur Leistungswillen honorierte, setzte Schroeter eine entgrenzte Welt entgegen, in der sich normierte Geschlechterrollen aufheben ließen, Kunst und Leben ineinander übergingen, Exzesse, Ekstase, ja der Tod stets nahe schienen.

In seinem Spätwerk wandte sich Schroeter zunehmend Operninszenierungen und Dokumentarfilmen zu - etwa über die Schauspielerin Marianne Hoppe -, wobei er auch hier seine Neigung zum Fragment- und Collagehaften treu blieb. Diese Nacht, nach einem Roman von Juan Carlos Onetti, entfesselte schließlich einen letzten Todesreigen. Noch einmal erzählte er von der Sehnsucht, der Vergänglichkeit mit einer großen Geste Einhalt zu gebieten: In einer Atmosphäre des Untergangs strich Schroeter wehmütig Sinnlichkeiten hervor. (Dominik Kamalzadeh/DER STANDARD, Printausgabe, 14. 4. 2010)