Wien - Die Einrichtung einer unabhängigen Experten-Kommission und eines von der Kirche finanzierten Opferhilfefonds fordert der Österreichische Bundesverband für Psychotherapie (ÖBVP). Bisher habe die katholische Kirche die Chance zur Aufarbeitung der Missbrauchsfälle nicht ergriffen, kritisierte ÖBVP-Präsidentin Eva Mückstein am Dienstag. Ein geplanter Runder Tisch drohe ohne Einbindung von Opferorganisationen zu einer "reinen PR-Aktion" zu werden, befürchtet ÖBVP-Rechtsberaterin Eva Plaz. Die von Kardinal Schönborn eingesetzte Opferanwältin Waltraud Klasnic verfüge in der Arbeit mit Missbrauchsopfern über "null Kompetenz" und werde bald "heillos überfordert sein".

Fachliche Hilfe gefordert

Nur die Psychotherapie gewährleiste, dass die Wunden, wenn nicht geheilt, so doch überwachsen werden könnten, betonte Manfred Deiser, Mitinitiator der "Plattform Betroffener kirchlicher Gewalt". Die Auswirkungen einer sexuellen Missbrauchserfahrung seien sehr individuell und würden bis zu psychotischen Zuständen und Suchterkrankungen reichen, erklärte Winfried Janisch, Vorstandsvorsitzender des NÖ Landesverbandes für Psychotherapie: "Es gibt daher nicht einen Weg, der richtig ist, sonder viele unterschiedliche." In jedem Fall brauche es fachliche Unterstützung.

Die psychotherapeutische Praxis habe gezeigt, dass es "oft Jahrzehnte dauert, bis Missbrauchserfahrungen wieder ins Bewusstsein kommen." Erst nach einer Erstaufarbeitung sei es den Betroffenen möglich, auch öffentliche Aussagen zu machen. "Es wäre sinnvoll die Verjährung zur Gänze abzuschaffen", verwies der Rechtsanwalt und Schadenersatzexperte Werner Schostal auf die Niederlande und die Schweiz. Außerdem sei es nicht nachvollziehbar, dass Täter wie im Fall der Kirche wieder in derselben Organisation mit Kindern in Kontakt kommen: "Es darf keine privilegierten Täter geben."

"Kirche betreibt Schadensbegrenzung für sich selbst"

Die katholische Kirche betreibe "primär Schadensbegrenzung für sich selbst", kritisierte ÖBVP-Anwältin Plaz. Klasnic habe angekündigt, "dass sie mit den Opfern reden will - ohne Ausbildung". Die Missbrauchsopfer könnten so retraumatisiert werden, warnte Plaz. Die Kirche habe eine Person bestimmt, den Auftrag erteilt, bezahle und bekomme das Ergebnis. "Interessant, dass sie sich trauen, das unabhängig zu nennen."

Notwendig sei eine vom Staat mit getragene, interdisziplinäre Kommission mit mindestens drei Experten und die sofortige Einrichtung eines Opferhilfefonds, der Betroffenen einen raschen und unbürokratischen Zugang zu fachlich kompetenter Hilfe ermöglicht, so ÖBVP-Präsidentin Mückstein. Die Soforthilfe nur für die Bearbeitung der aktuellen Fälle erfordere zusätzliche Mittel im Ausmaß von rund 300.000 Euro.  Rund 700 Verdachtsfälle wurden laut ÖVBP bisher registriert.

Die Dunkelziffer drohe hoch zu bleiben, wenn die Opfer kein Vertrauen in die Unabhängigkeit von Opferschutzeinrichtungen haben, warnte Mückstein. Der ÖVBP hat eine Liste mit Psychotherapeuten für Soforthilfe, Erstberatung und Psychotherapie zusammen gestellt, die auch online abrufbar ist. Mit Klasnic will der Bundesverband für Psychotherapeuten am Mittwoch Kontakt aufnehmen. (glicka, derStandard.at, 13. April 2010)