Wien - In einem garagenähnlichen Raum telefoniert ein Mann Zeitungsannoncen hinterher. Sein blitzblauer Anzug passt nicht zu all dem Grau um ihn herum. Es ist früh am Morgen, die Straßen sind still und dämmrig, als sich plötzlich ein Auto überschlägt; kurz danach hält ein Laster, und in Blitzesschnelle wird ein Piano abgeladen. Mit dem ersten Sonnenschein folgt dann die dritte Erscheinung: eine Frau in einem malvenfarbenen Kleid. Barry (Adam Sandler), der Mann in Blau, ist wie geblendet.
Die Farben weisen am Anfang von Paul Thomas Andersons verschrobener Komödie Punch Drunk Love über das rein Faktische hinaus. Gemeinsam mit der Musik öffnen sie einen Raum, in dem der Eigenbrötler Barry hinter keiner dunklen Ecke mehr Schutz suchen kann. Ein abstrakter Farbstreifen in Rosatönen, begleitet von Tanzmusik, drängt sich zwischen die Bilder - das Intermezzo, ein Nachbild der Frau in Farbe, weist auf Kommendes hin.
Farben mit Eigensinn, also solche, die sich nicht dezent im Hintergrund halten, sich nicht auf das Zeichenhafte beschränken, stehen im Mittelpunkt der Retrospektive Filmfarben im Filmmuseum. Schon die Pioniere des Kinos hatten den attraktiven Mehrwert der Farben im Blick: Fantasten wie Georges Méliès haben Aufnahmen viragiert - ein Vulkanausbruch schillert in Éruption volcanique à la Martinique in gefräßigen Rottönen -, doch trotz realen Bezugs beharren die Farben auf einer Künstlichkeit, die eher von der Welt fort und in den Film zurückführt.
"Bewusst eingesetzte, intensive Farbe" , schreibt die Filmkritikerin Frieda Grafe, auf deren Texten zu Filmfarben die Schau aufbaut, "ist eine Spur, die ins Innere der Filme führt und von der Erzähllinie ablenkt." Ein anderes Beispiel: Opfergang von Veit Harlan, ein somnambules Melodram aus Deutschland unter dem Nationalsozialismus, das von einem Mann erzählt, der zwischen zwei Frauen steht. Agfacolor, das Zweifarbenverfahren der Ufa, verleiht dem Film eine aquarellähnliche Textur, in der Farben so verteilt werden, dass sie die Präferenz des Mannes anzeigen: Die aristokratische Dame in Weiß hat gegen die irdischere in Rot das Nachsehen.
Genres mit Hang zum visuellen Überschwang - neben dem Melo vor allem der Horrorfilm und das Musical - weisen zu Farben ein besonders inniges Verhältnis auf. Das Filmmuseum zeigt Beispiele wie Roger Cormans The Masque of the Red Death, der die Farbwerte von Technicolor für intensive Schauereffekte nützt; Mario Bava, ein anderer Meister des blutigen Fachs, lässt in dem "Giallo" -Klassiker Sei donne per l'assassino / Blutige Seide einen Frauenmörder in einer Modeschule los. Die Sensationen werden auch hier durch Farbsättigungen erzeugt, die Wohnungen in Schreckenskammern verwandeln.
Erst Ende der 1960er-Jahre, mit dem Siegeszug des Fernsehens, werden Farben zunehmend realistisch eingesetzt. Unzeitgemäße Farbdramaturgen wie der Franzose Eric Rohmer machen es trotzdem anders: In Pauline à la plage kann man die amourösen Rollenspiele der Figuren in der Normandie auch anhand der Strandkleidung studieren, für deren Rot und Blau sich Rohmer an Henri Matisses La blouse roumaine orientiert hat. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD/Printausgabe, 13.04.2010)
Bis 7. Mai