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Jaroslaw Kaczynski kniet am Warschauer Flughafen vor dem Sarg seines Bruders

Foto: APA/EPA/Pietruszka

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Trauer vor den Trümmern: Ein Mann brachte Blumen an die Unglücksstelle in Smolensk.

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Warschau - Mit zwei Schweigeminuten gedachten am Sonntag Millionen Polen ihres Präsidenten Lech Kaczynski, der am Vortag zusammen mit weiteren 96 Menschen bei einem Flugzeugabsturz nahe des russischen Smolensk ums Leben gekommen war. Der Tod Kaczynskis und zahlreicher Spitzenvertreter aus Politik und Militär sorgte auch weltweit für Bestürzung und Trauer. Unterdessen wurde immer deutlicher, dass der Absturz durch einen Pilotenfehler verursacht worden war. Demnach soll der Kapitän der Maschine trotz dichten Nebels und mehrfacher Warnungen der russischen Lotsen die Landung in Smolensk versucht haben. Laut polnischen Journalisten hatte Kaczynski schon einmal, 2008 im georgischen Tiflis, einen Piloten zu einem riskanten Landemanöver zwingten wollen. Dieser weigerte sich, landete in einem Nachbarland und wurde daraufhin vom Präsidenten der Befehlsverweigerung bezichtigt. In Polen finden nun spätestens Ende Juni vorzeitige Präsidentschaftswahlen statt.

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Der russische Premier Wladimir Putin verabschiedete die Särge Sonntagnachmittag am Flughafen von Smolensk. Wenige Stunden später kamen die sterblichen Überreste des polnischen Präsidenten Lech Kaczynski und seiner Frau Maria in Warschau an, wo Tausende nach der Nachricht vom Absturz der Staatsmaschine vor dem Präsidentenpalast ausgeharrt und getrauert hatten. Die Menschen legten Blumen, Kerzen und Billets nieder. Vor allem aber stellten sich alle die Frage nach der Unglücksursache.

Das Untersuchungskomitee der russischen Staatsanwaltschaft hat vorläufig ausgeschlossen, dass ein technisches Gebrechen die Absturzursache war. "Wir werden zwar die Aufzeichnungen in Moskau eingehender studieren, die Aufnahme, die uns zur Verfügung steht, bestätigt aber, dass es keine technischen Probleme mit dem Flugzeug gegeben hat", hieß es.

Die Auswertung der Daten aus der sichergestellten Black Box, an der polnische und russische Experten teilnehmen, dauerte Sonntagabend vorerst noch an. Der Voice-Recorder befand sich laut den Ermittlern in einem "befriedigenden" Zustand.

Luftfahrtexperten zufolge gilt die Tupolew 154 als nicht sehr sicheres Flugzeug. Die polnische Präsidentenmaschine war bereits 20 Jahre alt und stand schon im Dienst von Wojciech Jaruzelski, Lech Walesa und Aleksander Kwasniewski. Das Flugzeug hatte bisher 5004 Flugstunden absolviert, die Lebenszeit einer Tupolew 154 wird von Fachleuten mit 30.000 Stunden angegeben.

2008 hatte die Unglücksmaschine technische Probleme mit einem Steuerseil und stand zwei Tage in Seoul. Im Dezember 2009 wurde das Flugzeug von dem russischen Flugzeugwerk Awiakor in Samara generalüberholt, die Innenausstattung und die drei Motoren des Typs D30-KU wurden erneuert.

Laut den vorläufigen Ermittlungsergebnissen ist die Absturzursache auf die Weigerung des Piloten, auf einen Ersatzflughafen auszuweichen, zurückzuführen. Der Pilot wusste über die schwierigen Wetterverhältnisse in Smolensk Bescheid und hatte trotzdem entschieden, dort zu landen.

Zum Zeitpunkt des Unglücks herrschte dichter Nebel. Laut dem russischen Wetterdienst Fobos betrug die Sicht weniger als 800 Meter, teilweise sogar unter 500 Meter. Dazu kommt, dass der Militärflughafen Smolensk Nord, wo die Präsidentenmaschine landen sollte, laut russischen Luftfahrtexperten nicht mit Landeleitsystemen, wie es sie auf zivilen Flughäfen gibt, ausgestattet ist. Der frühere polnische Militärpilot Michal Fisher sagte dem TV-Sender Russia Today, dass das Landesystem ILS der Tupolew 154 nicht mit dem in Smolensk Nord eingesetzten russischen System PRMG kompatibel sei.

Indes wird darüber spekuliert, was den Piloten dazu gebracht haben könnte, ein derartiges Risiko einzugehen. Die russische Internetzeitung Gazeta.ru berichtete, dass hinter dem Steuer der Präsidentenmaschine die "besten Militärpiloten Polens" saßen. Der Pilot der Präsidentenmaschine habe mehr als 200 Flugstunden in dem Unglücksflugzeug absolviert. "In der zivilen Luftfahrt bekommt ein Flugkapitän ernsthafte Probleme, wenn er in so einer Situation landet - selbst wenn die Aktion gutgeht", zitiert die Zeitung Gazeta Wyborcza anonym einen Piloten der staatlichen Linie Lot.

Die polnischen Journalisten, die am Unglückstag eine Stunde und 45 Minuten vor Kaczynski sicher in Smolensk landeten, spekulieren darüber, dass es der Präsident selbst gewesen sein könnte, der den Piloten anwies, im Nebel zu landen. Die polnische Delegation hatte ein dichtes Programm. Um 11.30 sollten sie bereits am Friedhof in Katyn an der Gedenkfeier teilnehmen. (red/Verena Diethelm aus Moskau/DER STANDARD, Printausgabe, 12.4.2010)