Der Keynes-Kenner Robert Skidelsky meint, dass mit keynesianischer Wirtschaftspolitik die Krise weniger scharf verlaufen würde.

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STANDARD: Wäre es Ihrer Ansicht nach bei einer keynesianisch dominierten Politik zu einer Krise aktuellen Ausmaßes gekommen?

Skidelsky: Jedenfalls hätte keynesianische Politik das Risiko einer Krise minimiert. Es hätte viel mehr öffentliche Investitionen gegeben. Investitionen sind besonders volatil und von Finanzflüssen abhängig. Diese Instabilität kann zu Kollapsen führen. Wenn die Kreditmärkte einfrieren und die Menschen Wohlstand verlieren, beeinträchtigt das ihre Ausgaben, und die ganze Wirtschaft rutscht ab. Seit den 80er-Jahren haben wir die Funktionen des Staates zurückgestutzt und der Privatwirtschaft überlassen.

STANDARD: Die Krise ging aber von den Finanzmärkten aus, als die Kreditblase platzte. Wie hat sich Keynes damit auseinandergesetzt?

Skidelsky: Er hat die Deregulierung des Bankensystems nicht mehr erlebt, weshalb eine Antwort schwierig ist. Aber es gibt in seinem Werk schon einige Hinweise: So hat sich Keynes für hohe Kapitalanforderungen für Banken ausgesprochen. Zudem wäre er für die Zerschlagung von Finanzinstituten gewesen, deren Größe ein systemisches Risiko darstellt. Die Spekulationswelle wäre in der Form bestimmt nicht eingetreten.

STANDARD: Die Idee fixer Wechselkurse gilt gerade in einer Welt großer Ungleichgewichte als unzureichend. Woran krankte das Bretton-Woods-System?

Skidelsky: Keynes' Plan zu Bretton Woods wäre viel weiter gegangen, doch er ist unterlegen, weil die Amerikaner keine globale Zentralbank wollten. Sie wollten einen Fonds, der nur bei Einhaltung strikter Auflagen eingreift, weil die USA größter Geldgeber waren. Keynes trat dafür ein, dass eine Zentralbank Geld produzieren und Reserven wieder verteilen kann. So hätten diese Ungleichgewichte nicht entstehen können.

STANDARD: Dieses Thema beschäftigt derzeit die Eurozone. Wäre ein Europäischer Währungsfonds die Lösung des Problems?

Skidelsky: Er wäre eine Minimalvariante. Ein Land, das in Zahlungsbilanzschwierigkeiten gerät, würde Finanzbeistand erhalten. Man braucht aber auch Anpassungen auf beiden Seiten, weil Währungsabwertung unmöglich ist. Deutsche müssen weniger, Griechen mehr sparen.

STANDARD: Aber in den USA kümmert es auch keinen, wenn Kalifornien hochverschuldet ist. Warum wird das Problem in Europa so stark beachtet?

Skidelsky: Weil die USA ein Bundesstaat sind, in dem über Steuereinnahmen umverteilt wird. Eine Zentralbank kann das nicht, sie ist keine fiskale Behörde. Sie kontrolliert nur die Geldversorgung. Diese fiskalische Steuerung fehlt in der Eurozone, was ich für einen Konstruktionsfehler halte. Zudem bräuchte die EZB die Befugnis, Geld zu drucken, um auf Schocks reagieren zu können.

Standard: Eine Ausweitung der Steuerung auf die Fiskalpolitik erscheint im Euroraum aber politisch nicht umsetzbar.

Skidelsky: Langfristig gibt es eine Chance, dass die Anpassungen erfolgen. Noch besser wäre freilich eine Schrumpfung der Eurozone auf Kernmitglieder, die wirtschaftlich vergleichbar sind. Neben Deutschland wären das etwa die Benelux-Staaten oder Österreich. (DER STANDARD, Printausgabe, 12.4.2010)