Michael Libowitzky geht in Pension und schließt einen der ältesten Wiener Läden. Ein Textilhändler soll folgen. Jemand anderer könne sich die Miete auch nicht leisten.

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Große Ketten zahlen auch für Toplagen nicht mehr jeden Preis.

Von der alten Gewölbedecke bröckelt der Verputz. Der Bodenbelag löst sich, über einer gesprungenen Fensterscheibe hängt einsam ein verblichener Vorhang. Michael Libowitzky kramt inmitten bunt zusammengewürfelter Kartons nach einer Mundharmonika. Eine günstige möge es sein, ersucht sein junger Kunde, der kaum den alten Ladentisch überragt. Ein japanischer Tourist lugt in das Musikgeschäft, rein wagt er sich dann doch nicht.

Libowitzky mag nicht mehr. 50 Jahre reichen, sagt er. Ende April geht er in Pension und schließt einen der ältesten Läden der Wiener Innenstadt. Gebrüder Placht handelte in der Rotenturmstraße seit 1816 mit Instrumenten und Zubehör. Saiten gab es hier einzeln zu kaufen, seine Kunden seien vor allem wegen des vielen Kleinkrams gekommen, sinniert der Jazzer.

Nach seinem Auszug erhält ein Modehändler die freien Flächen. Die alten Mietverträge sind damit Geschichte. Sein Nachfolger müsse für den Standort im Monat wohl das Zehnfache zahlen, meint Libowitzky. Einen aus der Musikbranche koste das zu viel an Substanz, vermutlich könne sich diese Mieten nur ein Textilgeschäft leisten.

Placht ist einer von vielen alten Läden, die aus den Wiener Edelmeilen verschwinden. In der Herrengasse und Freyung-Passage harren leere Filialen in hochkarätiger Lage seit Monaten neuer Mieter. In der Seiler- und Spiegelgasse zwischen Graben und Kärntner Straße sind noch weit mehr verwaist.

Wo sich keiner mehr trifft

An die einst noblen Mieter erinnern mit Stein und Holz vertäfelte Fassaden. Auf anderen haben sich längst Sprayer und Plakatierer verewigt. "Wo sich die Stadt trifft", ist auf dem Aufkleber eines aufgelassenen Restaurants zu lesen; im Inneren flackert nur eine beleuchtete Energydrinkdose. Am Neuen Markt ums Eck zieren Kübel, Kabel, Besen und ausgelatschte Turnschuhe die Auslagen. Vor dem kleinen Juwelier Sitto wächst ein Baugerüst empor – drinnen gehen die Emotionen hoch. Er werde um jeden Zentimeter kämpfen, um Sitto nicht ganz von den Planken verdecken zu lassen, beteuert ein von der WKO entsandter Sachverständiger in seinem Bemühen, den Baulärm zu übertönen.

Es werde der ganze erste Bezirk auseinandergenommen, sagt Alexander Gruszow und schüttelt resigniert den Kopf. Das eigentliche Problem seien aber die exorbitanten Mieten. Der betagte Juwelier führt sein Geschäft seit 65 Jahren, eine Zukunft sieht er dafür nicht. Für einen Nachfolger seien die anfallenden Kosten unfinanzierbar. Auf der anderen Seite des Platzes verkauft der einstige k. u. k. Hoflieferant Nigst bereits ab. Mit Juli ist nach gut 140 Jahren Schluss. Der Holzindustrielle Gerald Schweighofer hat das Gebäude gekauft und will neue zahlungskräftige Mieter.

Gern hätte sie das Lederwarengeschäft der Eltern weitergeführt, sagt Nigst-Chefin Claudia Schneider. Die mit der Übergabe verbundenen höheren Mieten könne sie aber nicht stemmen. Ein Spekulationsobjekt sei die Innere Stadt geworden, entrüstet sich ein anderer eingesessener Händler: Die alten Mieter dränge man raus, für Private seien die neue Verträge untragbar. Wer zahle schon 4000 Euro im Monat für ein kleines Geschäft wie seines. Das könnten nur internationale Ketten oder einer, der Mozartkugeln vertreibe, ergänzt er.

Geetika Sardana wurde mit süßen Souveniers groß. Der indische Geschäftsmann verkaufte sie einst im Prater, mittlerweile führt er mit 320 Mitarbeitern eine bunte Palette an Lokalen und Geschäften am Flughafen Wien wie an den feinen Adressen im Zentrum und in New York, Mostly Mozart etwa gehört ihm. Am Neuen Markt betreibt er fast schon die halben Flächen.

Er dränge keinen hinaus, er wolle den Platz beleben, sagt er dem Standard. In zwei freie Immobilien werde er in den nächsten Monaten internationale Marken bringen. Auf den Flächen von Nigst erweitere Mostly Mozart die seine – bis ein namhafter Mieter folge. Wo einst Kettner war, soll Don Gil hin, berichten andere Marktkenner.

Kleine würden nicht hinausgeworfen, sie ließen sich ihren Auszug teuer abgelten, stellt Jamal Al-Wazzan, der Schöps verwertet hat und sich prominente Flächen sichert, klar. Zurzeit stünden viele neue Händler kurz vorm Einzug.

Die alten zahlten oft nur einen Bruchteil der marktüblichen Mieten, fügt Wolfgang Scheibenpflug von EHL Immobilien hinzu. Es liege auf der Hand, alle rechtlichen Mittel auszuschöpfen, um sie anzuheben. Dass derzeit viel Fläche länger leer stehe, liege daran, dass der Handel nicht mehr bereit sei, jeden Preis zu zahlen. "Gute Lagen mussten Federn lassen." Die Zeiten, in denen am Kohlmarkt bis zu 390 Euro für einen Quadratmeter hingelegt wurden, seien vorbei. (Verena Kainrath, DER STANDARD – Printausgabe, 9. April 2010)