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Eine Gruppe armenischer Waisenkinder sitzt an einer Mauer: ARD-Doku "Aghet - Ein Völkermord".

Foto: NDR/Lepsius Archiv

"Aghet" heißt übersetzt "Katastrophe" und ist der Titel einer aufwändigen ARD-Doku, Freitag, auf ARD. Als "Blaupause für alle weiteren Völkermorde", stuft Regisseur Eric Friedel das Verbrechen an den Armeniern durch das Türkisch-Osmanische Reich 1915 bis 1918 ein. Das Deutsche Reich, im Ersten Weltkrieg Verbündeter des Osmanisches Reiches, wusste von den Vorgängen und sah tatenlos zu.

Dieses dunkle Kapitel der Geschichte Europas rekonstruiert er und stellt den Verlauf des Völkermordes aus historischen Quellen nach. Schauspieler wie Martina Gedeck, Sylvester Groth, Joachim Król, Peter Lohmeyer und Ulrich Noethen leihen Zeitzeugen von damals ihre Stimmen. 

Die Doku "wird für Wirbel sorgen", urteilte die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Auch, weil die aktuellen Entwicklungen den 90-minütigen Film einholen: Anfang März stufte der Auswärtige Ausschuss des US-Repräsentantenhauses die Verfolgung der Armenier im Osmanischen Reich zum vierten Mal als Völkermord ein. Der türkische Botschafter wurde daraufhin abberufen. Inzwischen kehrte er wieder nach Washington zurück. Außenministerin Hillary Clinton, die bis zum Schluss versuchte, das Votum zu verhindern, glättete die Wogen. 

Die Thematik ist heikel, der EU-Beitritt der Türkei, damit verbundene diplomatische Beziehungen und wirtschaftliche Interessen stehen auf dem Spiel. Für die USA ist der Nato-Partner Türkei Zwischenstation für die meisten Nachschubtransporte der amerikanischen Truppen im Irak. Trotz erster Annäherungen lehnt die Türkei immer noch die Einstufung der Massaker als Völkermord ab.
Die Wortmeldungen sind Lageberichte deutscher und US-amerikanischer Diplomaten, Schweizer, dänischer und schwedischer Ärzte, Sozialhelfer, Lehrer, Ingenieure, die zu Anfang des 20. Jahrhunderts in der Türkei lebten und Erlebnisse niederschrieben.

Die ARD beweist mit der Doku den Willen zur Vergangenheitsbewältigung, aber ebenso diplomatische Vorsicht: Durch die Sendezeit um 23.30 Uhr weicht sie dem publikumsstärkeren Hauptabend behutsam aus. (Doris Priesching/DER STANDARD, Printausgabe, 9.4.2010)