London - Krebsmedizin als Wahlkampfthema in Großbritannien: Der Vorsitzende der Konservativen, David Cameron, greift vor den Parlamentswahlen am 6. Mai die bisherige Ausrichtung des National Health Service (NHS) an, teure Krebsmedikamente nur sehr eingeschränkt auf seine Kosten zur Verfügung zu stellen. "Wir haben ein Problem in Großbritannien. Andere europäische Staaten sind besser als wir, wenn es darum geht, Krebskranken ein längeres und besseres Leben zu geben", wurde Cameron in der Tageszeitung "Daily Mail" zitiert.

Der Hintergrund: In Großbritannien gab es neue Krebsmedikamente - zum Beispiel jene der "zielgerichteten Therapie" - bisher nur mit zum Teil wesentlicher Verspätung auf Kosten des NHS oder gar nicht. "Bis zu 20.000 Menschen sterben sinnlos wegen der verfügten Restriktionen bezüglich zehn Krebsmedikamenten", wurde die britische Selbsthilfegruppe "Rarer Cancers Forum" in der Zeitung zitiert.

Das in Kreisen von "Health Technology Assessment"-Experten (HTA) in anderen Staaten oft zitierte Bewertungskomitee in Großbritannien (NICE) hätte in den vergangenen Jahren gleich 15 modernste Krebsmedikamente für die Bezahlung durch das NHS abgelehnt oder nur beschränkt genehmigt. Darunter befinden sich auch weltweit in der Krebstherapie - auch in Österreich - zugelassene und angewendete High-Tech-Medikamente wie "Avastin" (monoklonaler Antikörper "Bevacizumab") oder "Nexavar" (Sorafenib") für den Einsatz bei Dickdarm- oder Nierenzellkrebs.

Laut dem "Daily Telegraph" bekommen in Großbritannien wegen dieser Einschränkungen 20 Prozent weniger Patientinnen mit Brustkrebs den monoklonalen Antikörper Trastuzumab ("Herceptin") als im europäischen Durchschnitt. Im Vergelich zu Spanien und Frankreich sind es gar nur die Hälfte. Im Jahr 2009 hätte NICE ein Drittel der neuen Arzneimittel abgelehnt, im Jahr 2000 waren noch alle für den Kostenersatz akzeptiert worden. Kein einziges neues Krebsmedikament wäre voll und ganz in den Kostenersatz durch das nationale britische Gesundheitssystem hinein gekommen.

Das Gesundheitswesen in den entwickelten Staaten der Erde stellt - exklusive der Krankenversicherungsdebatte in den USA - selten ein Wahlkampfthema dar. Noch viel seltener ist dies bezüglich einzelner Erkrankungen.

"Es sieht so aus, als wäre Österreich einfach auf dem richtigen Weg. Bei Lungenkrebs zum Beispiel werden in diesem Land in unserem europäischen Vergleich mit 28 Prozent mehr Erkrankungen in einem (per Operation, Anm.) noch kurablen Stadium erkannt als anderswo. An der letzten Stelle liegt hier Irland mit zwölf Prozent. Ein Vergleich von 13 EU-Staaten zeigt, dass Österreich bei der Verwendung der neuen Krebs-Medikamente bei Aufwendungen pro 100.000 Einwohner mit 3,5 Mio. Euro deutlich über dem EU-Schnitt von 2,6 Mio. Euro, aber auch unter dem Höchstwert von 4,4 Mio. Euro in Frankreich liegt", sagte im Jahr 2008 der schwedische Wissenschafter Nils Wilking vom renommierten Karolinska-Institut in Stockholm in einem Hintergrundgespräch am Rande des Europäischen Krebskongresses (ESMO) in Stockholm.

Mit 3,5 Mio. Euro an Krebsmedikament-Aufwendungen pro 100.000 Einwohner lag Österreich damals in einem Europa-Vergleich vor der Schweiz (drei Millionen Euro), welche wiederum gleichauf mit Spanien war. In Großbritannien lag dieser Wert bei 1,56 Mio. Euro, also drastisch darunter. Wilking sagte damals: "In Frankreich findet eventuell ein Übergebrauch der modernen Krebsmedikamente statt, in Großbritannien ist es eindeutig zuwenig."

Mit dem extrem langsam agierenden und ganz spezifisch auf schnelle Wirtschaftlichkeit getrimmten britischen NICE-Gremiumkönnte sich Großbritannien bei den Krebstherapien offenbar in eine Lage manövieriert haben, die schlechter als jene ehemaliger Ostblockländer ist. NICE-Chef Andrew Dillon bestreitet das allerdings: "Wir empfehlen 85 Prozent der Medikamente, die wir bewerten." (APA)