Ilya & Emilia Kabakovs zynische Anleitung für einen guten Sowjet: "How Can One Change Oneself?" (1998)

Foto: Galerie Ropac / Ulrich Ghezzi

"Damit du ein für alle Mal herausfindest, ob du ein 'Schicksal' hast oder nicht: Riskier etwas! Stürz dich kühn von einer Höhe, denk und sorg dich um nichts. Und wenn dir dann während deines Falls Flügel am Rücken wachsen, wirst du wissen, dass jemand über dir wacht."

Was diese dreiste Aufforderung zur Schicksalsprüfung so entzückend macht, ist ihre Inszenierung: Die maschinengeschriebene Handlungsanweisung liegt auf einem grauen - die große Anhöhe versinnbildlichenden - Hocker, an dem an einem Bindfaden ein kleiner weißer Keramikengel baumelt: Destiny (with an angel) von Ilya & Emilia Kabakov ist nur eine von fünf Arbeiten des Moskauer Künstlerpaares, die für die Ausstellung Wings ausgesucht wurden. Werke von zwölf verschiedenen Künstlern (von Baselitz über Kiefer bis Warhol) geben in der Galerie Ropac einen Überblick zur Ikonografie des Flügels in der zeitgenössischen Kunst.

In der Arbeit der Kabakovs erinnern Engel als perfekte geflügelte Wesen mit menschlicher Gestalt an die verlorenen oder vergessenen Fähigkeiten, die Teil unseres Wesens sind. Das ist keine rein romantische Vorstellung, sondern auch im politischen Kontext der ehemaligen Sowjetära zu sehen: also als eine Antwort auf die Restriktionen des Individuums und symbolisch ähnlich zu interpretieren wie die geradezu unendlich nach oben führenden Leitern oder in der Decke befindlichen Türen im Werk Ilya Kabakovs. Die Arbeit How Can One Change Oneself (1998) kommentiert ironisch die utopischen Projekte aus der Zeit des Kommunismus: Um ein besserer Mensch zu werden, solle man sich stundenweise Engelsflügel anlegen und weiter seiner alltäglichen Büroarbeit nachgehen.

Nicht nur vom Hocker gehauen hat es allerdings einen anderen Helden: Ikarus. Balkenhol hat den Hochmütigen mit den wachsbefestigten Schwingen ("ein Sinnbild für den Künstlermythos, für die Gefahr der Selbstüberschätzung", wie Balkenhol kommentiert) gnadenlos und in schwerer Bronze auf die Erde klatschen lassen. Mitten im Stiegenhaus-Foyer muss man nun über den Geschundenen hinwegsteigen: eine perfekte Inszenierung. Auch die abstrakte Fassung des griechischen Mythos - Jack Pierson pfeffert den Namen des Daidalos-Sohnes in Form von Reklamebuchstaben auf den Galerieboden - ist gelungen.

Erfrischend und relativ unbekannt die Warhol-Zeichnungen, die noch aus seiner Zeit als Werbegrafiker (1956) stammen und mit flottem Strich teils ein wenig frivol dreinblickende Putten, Feen und Kinder in Elfenkostümen einfangen. Daneben nehmen sich die faszinierenden Negativzeichnungen Marc Brandenburgs wie dunkle, unheimliche Schatten aus. (Anne Katrin Feßler/ DER STANDARD, Printausgabe, 8.4.2010)