Buchtipp

Fette Irrtümer
Paolo Colombiani
176 Seiten, gebunden
ISBN 978-3-280-05372-0

Foto: Buchcover/Orell Füssli Verlag

Orangensaft soll neuerdings Fett schmelzen lassen und die tägliche Dosis Aspirin kann positiv wirken, zumindest zur Schlaganfallvorsorge. Kürzlich erst haben Wissenschafter der Mount Sinai School of Medicine herausgefunden, dass der Verzehr größerer Mengen Obst und Gemüse nur eine mäßige Schutzwirkung gegen Krebs hat. Das wird viele schlechte Gewissen beruhigen. Allerdings heißt es auch, dass das in Tomaten enthaltene Lycopin das Prostatakrebs-Risiko verringern soll und Chemikalien im Broccoli ein Gen stimulieren, das gegen Darmkrebs schützt. Für Laien ist der Studiensalat nicht einfach auseinanderzuhalten und auch die Empfehlungen von Ernährungsexperten und Organisationen variieren oft beträchtlich.

Wir haben ein Problem, "so viele knallharte Fakten zum Thema Ernährung wie Empfehlungen existieren gar nicht", schreibt auch Paolo Colombani im Vorwort zu "Fette Irrtümer". Und er hat Recht, denn täglich erscheinen neue Ernährungsstudien in den Fachmagazinen dieser Welt, die sich nicht selten genau widersprechen. Aus etwas Schlechtem wird etwas Gutes oder etwas Gutes wird schonungslos als etwas Schlechtes entlarvt - oft ist es auch Interpretationssache.

So ist die Tendenz sich einfach jene Dinge herauszupicken, die gefallen, nachvollziehbar. Dass Schokolade gesund ist, gehört zu den eher beliebten wissenschaftlichen Erkenntnissen. Der Autor hat sich einiger Ernährungsmythen in seinem Buch angenommen und versucht zu lichten, nachdem er klar gestellt hat, dass Bewegung das Um und Auf für einen gesunden Körper ist. Vor allen die Mythen um Kaffee, Vitamine, Kohlenhydrate und Fett versucht er zu "entranken".

Mythischer Kaffee

Die Österreicher liegen beim Kaffeekonsum mit etwas mehr als zwei Tassen täglich zwar nur an 13. Stelle im Europavergleich, Weltmeister sind die Finnen mit viereinhalb Tassen. Kaffee gilt aber als das am häufigsten konsumierte Getränk weltweit. Logisch, dass sich Laie und Wissenschaft Gedanken über dessen Wirkung auf den Körper machen. Hartnäckig hält sich das Gerücht, dass Kaffee entwässert.

Colombani machte sich auf die Suche nach den "harntreibenden Fakten" und fand "haarsträubende" Studien mit drei Versuchspersonen - wissenschaftlich irrelevant. Weiters erklärt er die Erkenntnis, dass das Getränk eigentlich ein Wasserspender ist. Nur reines Koffein könne - wenn überhaupt und dann auch nur kurzfristig - die Harnausscheidung erhöhen. Auch der Frage wie Kaffeekonsum mit Herz-Kreislauferkrankungen, Krebs und gar frühzeitigem Tod in Zusammenhang steht, geht der Ernährungswissenschafter auf den Grund und ob Kaffee ähnlich wie Orangensaft Fett schmelzen lässt.

Vitamine und Mineralstoffe

Wir müssen essen um zu überleben, daran gebe es freilich nichts zu rütteln, meint Colombani. Doch ist Vitamin gleich Vitamin und Mineralstoff gleich Mineralstoff? Der Autor betrachtet die beliebten Nahrungsergänzungsmittel genauer und erklärt gut nachvollziehbar warum die hohen Erwartungen daran nicht erfüllt werden: unter anderem weil alles, was nicht natürlich vorkommt, auch nicht natürlich wirkt.

Kohlenhydrate und Fette

Auch mit den Ernährungsempfehlungen zu Kohlenhydraten und Fetten geht der Experte ins Gericht. Er kritisiert beispielsweise "die in die Jahre gekommene und irreführende Einteilung in einfache und komplexe Kohlenhydrate" und erklärt dafür genau, was es mit dem Glycämischen Index auf sich hat. Fazit: auch hier ist die Bewegung eine wichtige Vergleichskomponente. Für Menschen, die sich kaum bewegen, sei der obere Bereich der Richtwerte des Food and Nutrition Board des Institute of Medicine in den USA von 65 Prozent an Kohlenhydraten "jenseits von Gut und Böse".

Bei den Fetten startet der Autor den Versuch die festgefahrene Einteilung in pflanzliche und tierische Fette aus den Köpfen zu verbannen, denn Fett kommt in viel mehr Varianten vor. Fette sind zwar immer nach demselben Plan gebaut - Glycerol mit je drei Fettsäuren (A, B, C, D, E, F) - doch letztere können in nahezu unendlich vielen Kombinationen auftreten. Auch der Ort der Verknüpfung spiele eine Rolle. Daher könne auch jede Kombination eine andere Wirkung auf den menschlichen Stoffwechsel haben. Gesättigt, ungesättigt, mehrfach ungesättigt, natürliche und unnatürliche Transfettsäuren und gehärtete Öle beleuchtet Colombani und erklärt warum es im Laufe der letzten Jahrzehnte immer wieder einen fetten "Bösewicht" brauchte - beispielsweise die gesättigten Fettsäuren als Feindbild.

Ein wichtiges Fazit des Autors: "Menschen essen Nahrungsmittel und nicht einzelne Nährstoffe", die Reduktion von Nahrungsmitteln auf jeweils wenige ihrer Nährstoffe könne daher zu besagten Irrtümern führen. Sympathisch ist Colombanis Ernährungsempfehlung in seinem Ausblick: "Vermeide Extreme, vergiss Nährstoffe und genieße Nahrungsmittel, also das Essen." (derStandard.at, 8.4.2010)