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Das bosnische Mitglied des Staatspräsidiums, Haris Silajdžić, und Premier Tayyip Erdogan.

Foto: AP/Emric

In der mehrheitlich von Muslimen bewohnten Stadt sagte er, die Türkei werde auf die EU verzichten, wenn diese sie nicht wolle.

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Wien/Sarajevo - Er hat aus seinem Herzen noch nie eine Mördergrube gemacht. Aber unter Freunden ist er besonders offenherzig. Bei seinem Besuch in der bosnischen Hauptstadt Sarajevo sagte der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan am Montag mit offensichtlich sarkastischem Unterton, dass die Türkei der Europäischen Union nicht zur Last fallen wolle. "Wenn sie uns in der EU nicht wollen, verlieren wir nichts, dann entscheiden sie sich eben dafür, ein Christenclub zu sein."

Das Wort "Christenclub" klingt gerade in Sarajevo bedrohlich, wo mehrheitlich Muslime wohnen. Erdogan hat den Ort für seine Botschaft also gezielt gewählt. Nach dem Besuch der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Türkei und vor dem Besuch Erdogans in Frankreich, wo er heute Nicolas Sarkozy trifft, machte der türkische Regierungschef den beiden Türkei-Beitrittsgegnern klar, dass er sich nicht gängeln lassen wird. "Wir erfüllen unsere Aufgaben und rechnen damit, der EU früher oder später beizutreten" , stellte Erdogan in Sarajevo klar.

Türkei als Mediator

Die Türkei werde nicht die Rolle des Problemlandes übernehmen, so seine indirekte Botschaft. Vielmehr wolle sein Land helfen, die bestehenden Probleme zu überwinden, sagte Erdogan. Mit bestehenden Problemen könnten auch jene im zerrissenen Bosnien gemeint sein. Gerade für die Bosniaken ist die Türkei ein wichtiger Ansprechpartner. Erdogans Worte sollten wohl ermutigen. Spätestens seit Serbien, Mazedonien und Montenegro, nicht aber die stärker von Muslimen bewohnten Staaten Bosnien, Albanien und Kosovo heuer die Schengen-Visafreiheit bekommen haben, fühlen sich viele Muslime auf dem Balkan von der EU benachteiligt.

In Sarajevo eröffnete Erdogan einen Universitätscampus. Die Türkei unterstützt die Uni finanziell. Einige Türkinnen, die wegen des Kopftuchverbots nicht zu Hause studieren wollen, sind dazu nach Bosnien gezogen. "Es ist belanglos, ob wir eine gemeinsame Grenze haben oder nicht. Ich empfinde dieses Land als den nächsten Nachbarn, und wir werden Bosnien wegen unserer historischen Verantwortung niemals im Stich lassen", sagte Erdogan. Bosnien war mehr als 400 Jahre lang Teil des Osmanischen Reichs.

86 Menschen verhaftet

In der Türkei wurden am Montag wegen angeblicher Putschpläne 86 Verdächtige, darunter 70 Militärs, festgenommen. Und einen Monat nach seiner Abberufung kehrte der türkische Botschafter Namik Tan in die USA zurück. US-Außenministerin Hillary Clinton hatte zuvor die Armenien-Resolution des Außenpolitischen Ausschusses des Repräsentantenhauses abgelehnt. (Adelheid Wölfl/DER STANDARD, Printausgabe, 7.4.2010)