Bild nicht mehr verfügbar.

Der russische Präsident Dmitri Medwedew bei der Besichtigung des U-Boots St. Georg der Siegreiche, das noch im Einsatz ist.

Foto: APA/EPA/Astakhov

Der Großteil wurde mit internationaler Hilfe aber bereits "entsorgt".

Regelmäßig geht Wasgen Ambarzumjan an dem rotbraunen Koloss vorbei und streichelt fast liebevoll mit der Hand darüber. Ein 15 Meter langer Zylinder mit einem Durchmesser von rund zehn Metern ist alles, was vom einstigen Arbeitsplatz des Chemikers übriggeblieben ist. 25 Jahre diente der Armenier als Offizier in der sowjetischen Nordflotte auf einem von zwei Kernreaktoren betriebenen U-Boot.

Nun arbeitet der 52-Jährige bei SewRAO, einer Tochter der russischen Staatsholding Rosatom. Der einstige Stolz der sowjetischen Nordflotte liegt aufgebockt auf einer mehr als einen Meter dicken Betonplatte in der Sajda-Bucht, rund 50 Kilometer von der russischen Hafenstadt Murmansk entfernt. Dort, nördlich des Polarkreises, wo es im Winter nicht hell wird und im Sommer nicht dunkel, entsteht derzeit ein Langzeitzwischenlager für die Reaktorsektionen von ausgemusterten Atom-U-Booten aus Sowjetarsenalen.

Wenn am kommenden Donnerstag US-Präsident Barack Obama und sein russischer Amtskollege Dmitri Medwedew in Prag das Nachfolgeabkommen des Start-Vertrages unterzeichnen, ist zwar ein weiterer wichtiger Schritt zur Abrüstung der Atomwaffenarsenale getan, gleichzeitig wächst jedoch der Atommüllberg. Es müssen nicht nur die abgerüsteten Sprengköpfe, sondern auch die Trägersysteme, also Raketen, Langstreckenbomber, Abschussrampen, U-Boote entsprechend entsorgt werden.

Die sichere Lagerung des kontaminierten Materials ist eine Aufgabe für Generationen. Das Langzeitzwischenlager in der Sajda- Bucht ist für 100 Jahre angelegt: 30 Jahre sind für die Entsorgung veranschlagt, 70 Jahre für die Lagerung. Erst danach ist die Strahlung so weit abgeklungen, dass man mit den Reaktorsektionen weiterarbeiten kann.

"Wir haben darauf geschaut, das Land zu verteidigen. Das ganze Geld wurde für den Bau von neuen Reaktoren ausgegeben, über die Entsorgung hat sich niemand Gedanken gemacht" , sagt der ehemalige U-Boot-Offizier. Als nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion mehr als 200 Atom-U-Boote ausgemustert wurden, wurden die meisten einfach in den Buchten der Kola-Halbinsel verankert. Durch die Bewegungen von Eisplatten und Korrosion bestand jedoch die Gefahr, dass die Boote sinken und radioaktives Material freigesetzt wird.

Erst als in den 90er-Jahren erschreckende Berichte über auslaufende Tanks, in denen radioaktive Flüssigkeiten gelagert wurden, und über versenkte Atom-U-Boote die Öffentlichkeit erreichten, schrillten weltweit die Alarmglocken. 2002 verabschiedeten die G-8-Staaten in Kanada ein 20-Milliarden-Dollar-Programm gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und -materialien. Ein Großteil des Geldes kommt Russland zugute.

Auch das Langzeitzwischenlager in der Sajda-Bucht, das in Federführung der deutschen Energiewerke Nord (EWN) entsteht, ist Teil dieser globalen Partnerschaft. Projektleiter Detlef Mietann, der bereits im pommerschen Lubmin einen DDR-Reaktor russischer Bauart abgebaut hatte, kommt mit den Russen gut zurecht. Er spricht nicht nur ihre Sprache, er teilt auch ihre Lieblingsbeschäftigung – das Angeln.

2006 wurden die ersten Reaktorblöcke von mittlerweile 33 eingelagert, die Brennstäbe ins Atommüllager nach Majak geschickt. In diesem Jahr sollen sieben weitere Reaktorsektionen dazukommen. Wie es nach 2012 mit dem Projekt weitergeht, ist noch unklar. "Bisher hat sich noch niemand aus der globalen Partnerschaft bereiterklärt, sich weiter zu engagieren" , sagt Mietann.

Arbeit gäbe es genug. In der Andrejewa-Bucht ticken noch tausende Zeitbomben. Nach Angabe der Umweltschutzorganisation Bellona lagern dort noch immer 21.000 ausgebrannte Brennstäbe von mehr als 100 Reaktoren sowjetischer U-Boote.

Umweltschützer kritisieren, dass unabhängige Experten keinen Zugang zu den Lagerstätten erhalten. Das Gebiet rund um Murmansk ist militärisches Sperrgebiet. Selbst Mietann und seine Kollegen dürfen nur zweimal im Monat die Sajda-Bucht besuchen, um die erledigten Arbeiten abzunehmen.

Die Zutrittsbarrieren und hohen Sicherheitsmaßnahmen sollen auch Terroristen abschrecken. "Unsere Leute können auf einen Anschlag innerhalb von drei Sekunden reagieren", sagt Anatoli Warnawin vom Kurtschatow-Institut, das ebenfalls am Projekt in der Sajda-Bucht beteiligt ist. (Verena Diethelm aus Murmansk/DER STANDARD, Printausgabe, 3.4.2010)