Standard: Da liegt er jetzt, zehn Monate nach den ÖH-Wahlen: der Evaluierungsbericht zum E-Voting. Bleibt die Online-Wahlmöglichkeit auch für Sie das "Mitbestimmungsinstrument der Gegenwart und der Zukunft" , wie Ihr Vorgänger Johannes Hahn gehofft hat?
Karl: Ich sehe E-Voting als die Briefwahl des 21. Jahrhunderts. Es ist ganz wichtig, dass dieses wirklich zukunftsweisende Pilotprojekt ausprobiert wurde.
Standard: Was sind die Kernpunkte des Evaluierungsberichts?
Karl: Er zeigt, dass sich E-Voting als technologiebasiertes Wahlverfahren im Internet bewährt hat. Aber die Bürgerkarte, die ja für die Online-Stimmabgabe nötig ist, ist noch nicht so weit verbreitet, wie es notwendig wäre. Das war ein klarer Hemmschuh.
Standard: Was heißt das für die Zukunft des Projekts?
Karl: Daraus ziehe ich den Schluss, dass E-Voting 2011 bei der nächsten Hochschülerschaftswahl nicht mehr eingesetzt wird.
Standard: E-Voting war also ein Flop. Warum?
Karl: Nein, E-Voting war ein Erfolg. Ich würde mir wünschen, dass es auch bei anderen Wahlen zum Einsatz kommt, denn vom System her hat es ja funktioniert.
Standard: Warum stoppen Sie also das Projekt vorerst?
Karl: Die Bürgerkarte wird noch nicht ausreichend akzeptiert und ist noch nicht so weit verbreitet, wie es für eine erfolgreiche Wahl notwendig wäre.
Standard: Aber es haben sich doch über 14.000 Studierende registrieren lassen. Nur zur Wahl gegangen sind dann lediglich an die 2000.
Karl: Das Wissenschaftsministerium hat sehr viel getan, um die Akzeptanz für die Bürgerkarte zu steigern. Es wurde eine Internetplattform eingerichtet, es wurden Lesegeräte verteilt, die Karten gratis freigeschaltet. Dabei fällt das gar nicht in unseren Aufgabenbereich. Es ist Aufgabe des Bundeskanzleramtes, für die Akzeptanz der Bürgerkarte zu sorgen.
Standard: Woher rührt die fehlende Akzeptanz? Waren die Sicherheitsbedenken doch stärker als die von der ÖVP gepriesenen Vorteile?
Karl: Es gibt keine Sicherheitsbedenken. Aber die Bürgerkarte soll ja auch andere Abläufe online erleichtern, etwa im Gesundheitsbereich. Momentan wird noch zu wenig geboten. Wenn die Karte mehr Anwendungen beinhaltet, wird es auch eine stärkere Beteiligung geben.
Standard: Trotzdem passt das nicht zusammen: Bei der ÖH-Wahl wurden viele Karten gelöst, sind aber nicht zum Einsatz gekommen.
Karl: Es gab dann auch eine Diskussion im ÖH-Wahlkampf, die der Idee des E-Voting nicht dienlich war. Es wurde ja der gesamte Wahlkampf auf das Thema zugespitzt. Andererseits hat die Diskussion auch viele Denkanstöße gegeben. Ich konnte etwa aus den Gesprächen mit der ÖH klar ableiten, dass sie selbst E-Voting nicht wollen. Das ist auch ein Mitgrund, warum es beim nächsten Mal nicht zum Einsatz kommen wird.
Standard: Sie argumentieren das Aus für die Online-Wahl vor allem mit Befindlichkeiten - technische Probleme gab es nicht?
Karl: Nein, das System hat funktioniert, aber die nötigen Rahmenbedingungen haben gefehlt.
Standard: Immerhin wurden die Wahlen an der Uni Wien und in Salzburg aufgehoben.
Karl: Das hatte nichts mit E-Voting zu tun. Da ging es um die unvollständige Bezeichnung einer Wahlgruppe und um ein teilweise unvollständiges Wählerverzeichnis.
Standard: Sie meinen, das wäre bei der Papierwahl auch passiert?
Karl: Ja.
Standard: Das zentrale Argument, die Wahlbeteiligung steigern zu wollen wurde ad absurdum geführt. So gesehen doch ein Flop?
Karl: E-Voting ist sehr wohl geeignet, die Wahlbeteiligung zu steigern. Es gibt ja bei der ÖH-Wahl keine Briefwahl, und viele Studierende sind häufig gar nicht an der Uni präsent. Für die war E-Voting die einzige Möglichkeit, überhaupt an der Wahl teilzunehmen.
Standard: Umso schlimmer, die Beteiligung ist mit 25,7 Prozent am Tiefpunkt. Ist das kein Widerspruch zu sagen, die Wahlbeteiligung sank, die Akzeptanz war gering, aber E-Voting war ein Erfolg?
Karl: Ich glaube, mit einer höheren Akzeptanz der Bürgerkarte wird auch E-Voting mehr genutzt.
Standard: Was hat das Projekt insgesamt gekostet?
Karl: Da gibt es eine ganze Reihe von parlamentarischen Anfragen, da ist das alles restlos geklärt.
Standard: Die 900.000 Euro sind ja nicht alles.
Karl: Es gab mehrere parlamentarische Anfragen, wo das offengelegt wurde. Aber wenn man bedenkt, dass die Wiener Volksbefragung sieben Mio. Euro gekostet hat ...
Standard: ... trotzdem würde mich die Gesamtsumme interessieren.
Karl: Die habe ich jetzt nicht im Kopf. Das Kernprojekt E-Voting hat rund 900.000 Euro gekostet, dazu gab es noch Begleitmaßnahmen wie die Bewerbung und Freischaltung der Bürgerkarte.
Standard: Und das war es wert?
Karl: Absolut. Auf den Erfahrungswert wird man bei künftigen Wahlen zurückgreifen können.
Standard: Bei den Zugangsbeschränkungen gehen Sie auf Konfrontation mit der SPÖ und wollen auch für die WU und die TU eine Notfallsverordnung erwirken. Warum sollte der Koalitionspartner doch noch zustimmen?
Karl: Die SPÖ verschließt die Augen vor der Realität. In überfüllten Hörsälen kann keine Qualität geboten werden. Ich hoffe, dass die SPÖ diese Dramatik erkennt und doch noch zustimmt. Ein paar Wochen sind ja noch Zeit.
Standard: Sie sind selbst mit dem Notfallsparagrafen unglücklich. Was also tun bei den zu erwartenden Verdrängungsmechanismen etwa von der WU an andere Unis?
Karl: Es besteht ja auch für andere Unis die Möglichkeit, die Notfallsverordnung zu beantragen. Können die Probleme damit nicht behoben werden, wird man andere Maßnahmen andenken müssen.
Standard: Das wollten Sie ja unter anderem im Hochschuldialog. Macht der nach dem Ausstieg der Rektoren überhaupt noch Sinn?
Karl: Natürlich. Der Dialog ist ja von Anfang an sehr breit angelegt worden. Weil es um Zukunftsfragen geht. Da finde ich es sehr schade, dass sich die Rektoren aus der Diskussion herausgenommen haben. Damit nehmen sie sich auch Chancen mitzugestalten.
Standard: Hatten sie denn die Chance mitzugestalten? Es hat von Anfang an geheißen, die Ergebnisse sind nicht verbindlich.
Karl: Der Dialog kann nicht den politischen Verantwortlichen ersetzen. Die Entscheidung muss ich treffen. Für mich sind die Ergebnisse eine wichtige Grundlage. Vor allem, wenn sie auf breiter Basis zustande kommen.
Standard: Das wird schwierig wenn die Hauptakteure ausfallen.
Karl: Die Rektoren haben eine ganz wichtige Funktion in der österreichischen Hochschullandschaft, natürlich. Aber die Universitäten bestehen nicht nur aus Rektoren. (Karin Moser, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 3.4.2010)