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Kein Freund von "Kommissionen": Paul Flieder

 

Paul Flieder (Jg. 1953) arbeitet als Autor, Dokumentarfilmer und Opernregisseur und lebt in Wien; zuletzt erschien von ihm bei Residenz "Der Barbier von Bagdad".

Foto: Archiv

Wir wählen Politiker, damit sie für uns entscheiden. Tun sie's, ertönt der Ruf nach Partizipation. - Eine Widerrede zur Kritik am ministeriellen "Feudalismus" bei der Bestellung der neuen Mumok-Chefin.

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Kulturministerin Schmied wird kritisiert, weil sie es gewagt hat, die Direktionsstelle des Mumok zu besetzen, ohne irgendwelche (oft selbsternannte) Experten, Fachjuroren, Kommissionsmitglieder, Beiräte et cetera zu fragen.

Dabei hat sie nur ihren Job getan, für den sie schließlich gut bezahlt wird. Und so ganz einsam wird sie nicht nachgedacht haben. Im Ministerium sitzen nicht lauter Idioten, und ein Telefon hat die Ministerin auch. Unterschwellig wird ihr eine Bevorzugung von Frauen vorgeworfen. Das ist etwas seltsam, denn schließlich sind der neue Staatsoperndirektor, den sie ausgesucht hat, und der Volksoperndirektor, dessen Vertrag sie verlängert hat, zweifelsfrei keine Frauen.

Die Kritik an ihrer "einsamen" Entscheidung für Karola Kraus wirft vielmehr ein bezeichnendes Licht auf die Selbstbedienermentalität in der Kulturszene. Bei Theatern zum Beispiel hat es sich tatsächlich eingebürgert, dass sogenannte Fachkommissionen den Politikern ihre Vorschläge für die Besetzung der Intendantenstellen unterbreiten. In diesen Kommissionen sitzen - erraten - Intendanten, sehr oft Funktionäre des Deutschen Bühnenvereins, auch in Österreich. Das ist ungefähr so, als würden die Vorstände von VW, Mercedes, Ford und Opel über den Chef von BMW entscheiden.

Diese Kommissionen achten auf zweierlei: Erstens muss der Kandidat zum eigenen Netzwerk gehören (ich inszeniere bei dir, du bei mir, wir beide bei ihm und alle drei gehen wir in die nächste Intendantenfindungskommission), und zweitens soll er auch nicht zu erfolgreich sein, vor allem nicht beim Einspielergebnis. Da könnten positive Ausreißer nämlich Fragen aufwerfen ...

Bezeichnenderweise sind in Österreich die Intendanten am erfolgreichsten, die genau so "freihändig" ausgewählt worden sind, wie man es Schmied jetzt vorwirft. Holender wurde nicht von einer Kommission nominiert, sondern von der damaligen Kulturministerin Hilde Hawlicek - und sie hat dafür viele Prügel einstecken müssen. Holender wurde dann der erfolgreichste Staatsopernintendant. Volksoperndirektor Robert Meyer musste ebenfalls nicht einer Jury vorsingen und manövrierte das Theater aus der Krise, in die es sein Vorgänger geritten hatte. Auch Roland Geyer wurde nicht von Experten abgeprüft, und das Theater an der Wien ist Weltspitze. (Dass er kein hohes Einspielergebnis erzielt, hängt mit der überalterten und kaum zu verbessernden logistischen Struktur des Hauses zusammen.)

Wie unverantwortlich dieses Abschieben auf Kommissionen ist, zeigt unter anderem das Salzburger Landestheater. Es gäbe mehrere abschreckende Beispiele, dieses wurde gewählt, weil die Vorgänge länger zurückliegen, schließlich will man ja mit so einem Artikel keinem Theater schaden. Da gab es bei der Wahl des Vorgängers des jetzigen Intendanten eine Kommission unter dem damaligen Bühnenvereinspräsidenten Jürgen Flimm. Der Dreiervorschlag an die Politiker beinhaltete Kandidaten aus Basel und Esslingen und den von Daniel Barenboim aus dem Amt gemobbten Intendanten der Berliner Staatsoper. Mit Paradeisern auf den Augen konnte man sehen: Für den Berliner wurde ein Job gesucht. Der Kandidat aus Basel zog am Tag des Hearings (wunschgemäß?) zurück, der Esslinger und der Berliner kamen. Der Berliner machte auf die Politiker einen unerwartet ungünstigen Eindruck, es wurde der Esslinger, der nicht einmal - obwohl in der Ausschreibung verlangt - ein Konzept mitgeliefert hatte und außer ein paar lächerlichen Rezensionen in schwäbischen Bezirksblättern nichts vorweisen konnte. Das Theater versank für fünf Jahre in Streit und absoluter Bedeutungslosigkeit.

Flimm war das alles so peinlich gewesen, dass er in einem Presse-Interview eine diesbezügliche kritische Frage mit einer dreisten Kindesweglegung pariert hatte: "Ich habe ihn nicht gewählt." Ein anderes köstliches Beispiel habe ich selbst erlebt. Ich arbeitete an einem Theater, an dem das Durchschnittsalter der Regiekollegen deutlich über sechzig war. Die Inszenierungen waren an Senilität nicht zu überbieten. Jeder fragte sich, warum engagiert der Intendant diese Leute? Des Rätsels Lösung: Die Alzheimertruppe saß in einer Kommission, die über die Besetzung einer Professorenstelle an einer Musikhochschule entschied. Die Besetzungspolitik hat sich ausgezahlt, wenn auch nicht fürs Publikum und die Studenten.

Es ist schon grotesk: Wir wählen und bezahlen Politiker dafür, dass sie für uns entscheiden. Wenn dann eine Kulturpolitikerin genau das macht, wird nach der Mitbestimmung geschrien. Zumindest von den übergangenen Insidern. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 1.4.2010)