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Auftritt der Schuldzuweiser in der griechischen Budget-Tragödie: Kundgebung vor dem Parlament in Athen.

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Währungspolitisches Krisenmanagement zwischen Bretton Woods und Brüssel: Hätte man 1944 oder 1973 auf Keynes gehört, wäre es weder zum Euro noch zum Griechenland-Debakel gekommen. - Schlecht?

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Zum US-chinesischen und griechisch-deutschen Problem "massiver Handelsungleichgewichte" schreibt Eric Frey ("Die Mitschuld der Tugendhaften" , Standard, 20. 3.), dass sich "schon John Maynard Keynes bei der Geburt von Bretton Woods 1944 mit dieser Frage herumschlug und keine gute Antwort fand. 1973 zerbrach das von ihm geschaffene Wechselkursregime genau an diesem Dilemma" . Das ist historisch so haarsträubend falsch, dass die Ehre Keynes gerettet werden muss. Das Bretton-Woods-System wurde zwar von britischen Ökonomen wesentlich mitkonzipiert, doch sein entscheidender Konstruktionsfehler, an dem das System Anfang der 1970er Jahre zusammenbrach, wurde gegen den Willen Keynes, der Großbritannien vertrat, von seinem US-amerikanischen Konterpart, Harry Dexter White, durchgesetzt. Die um Welten bessere Alternative von Keynes fiel unter den (Verhandlungs-)Tisch.

Keynes wollte aus den wichtigsten Währungen eine globale Verrechnungseinheit bilden (ähnlich dem ECU), in der die internationalen Handels- und Schuldenströme abgewickelt werden sollten. Die nationalen Währungen sollten bestehen bleiben und die Wechselkurse zum "Bancor" (so benannte er die globale Verrechnungseinheit) fixiert werden.

Konstrukteure des Scheiterns

White setzte stattdessen den US-Dollar als Weltleitwährung durch, was die Selbstzerstörung (und Ungerechtigkeit) im System von Bretton Woods programmierte. Keine Landeswährung kann gleichzeitig die Rolle der Weltleitwährung erfüllen. Die USA warfen im Vietnamkrieg die Notenpresse an, wodurch der US-Dollar die Golddeckung verlor und unter Abwertungsdruck geriet: 1971 wurde die Goldbindung aufgegeben, 1973 die Wechselkurse freigegeben. Das Bretton-Woods-System zerbrach am Ego-Trip der USA, nicht am nie umgesetzten Modell des britischen Ökonomen.

Keynes Modell wäre noch viel weiter gegangen als "Bancor" und "Clearing Union" (die Verrechnungsstelle): Alle Länder sollten auf ausgeglichene Handels- und Leistungsbilanzen achten, damit keine Ungleichgewichte entstünden. Sowohl Länder mit Defiziten als auch mit Überschüssen sollten sanktioniert werden. Deutschland oder China wären in diesem Modell nicht als vorbildliche Exportweltmeister dagestanden, sondern hätten für die Gefährdung des Gleichgewichts Strafzinsen zahlen müssen, was sie dazu anreizen würde, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verringern (zum Beispiel durch höhere Löhne) und anderen Ländern gleich viel abzukaufen wie sie ihnen verkaufen: Wir sind beim griechischen Problem. Griechenland wird zum Sündenbock der Eurozone stilisiert, ist aber mehr Opfer des neoliberalen Konstruktionsfehlers derselben: Da durch Einführung einer Einheitswährung das wirtschaftspolitische Instrument der Wechselkursanpassung verloren geht, macht die Währungskooperation nur Sinn, wenn die Teilnehmerstaaten auch in den anderen wirtschaftspolitischen Disziplinen kooperieren: bei der Lohn-, Steuer- und Konjunkturpolitik. Stattdessen zersprageln sich die Euroländer im Standortwettbewerb und führen gegeneinander Handelskrieg. Deutschland hat gegenüber Griechenland in den letzten Jahren durch extrem zurückhaltende Lohnpolitik um rund 20 Prozent "abgewertet".

Heute liegen die Lohnstückkosten in Deutschland um 13 Prozent unter dem EU-Schnitt, in Griechenland um 14 Prozent darüber. Das Leistungsbilanzdefizit Griechenlands erreichte in der Folge bis zu 14 Prozent vom BIP, während Deutschland Überschüsse bis zu acht Prozent erzielte. Die deutschen Unternehmen gewinnen den Handelskrieg gegen die griechischen Unternehmen, wodurch sich Griechenland strukturell gegenüber Deutschland verschuldet: Die deutschen Banken sind Gläubiger Griechenlands im Ausmaß von rund 40 Milliarden Euro (und haben deshalb nicht das geringste Interesse an einem Staatsbankrott Griechenlands oder an seinem Rauswurf aus der Eurozone; und dringen darauf, dass Steuergeld zur Rettung Griechenlands eingesetzt wird).

Wäre Keynes' Vorschlag umgesetzt worden, wäre das Problem nicht entstanden. Deutschland müsste für seinen Überschuss Strafe zahlen und hätte somit einen Anreiz, die Löhne zu erhöhen und seine Leistungsbilanz auszugleichen (was zugleich die Binnenkonjunktur ankurbeln und damit die große deutsche Krankheit seit Jahren "heilen" würde). Theoretisch hätte es in Keynes‘ Modell nicht einmal den Euro als Gegengewicht zum Dollar gebraucht, weil dieser nicht mehr die Öl- und Schuldenwährung wäre; und fixe, jedoch anpassbare Wechselkurse hätten nicht nur Stabilität, sondern auch Flexibilität gebracht: Die Drachme könnte im Notfall kontrolliert abgewertet werden.

Sparen in der Krise ist Gift

Das ist kein prinzipielles Argument gegen den Euro, aber ohne Kooperation in der restlichen Wirtschaftspolitik könnte die EU-Währung genauso zusammenbrechen wie einst das System von Bretton Woods. Die europäischen Partner gießen auch noch Öl ins Feuer, indem sie Griechenland mit neoliberaler Verve einseitig zum Sparen drängen. Doch Sparen in der Krise ist Gift: Wirtschaftsforschungsinstitute gehen bei einer Halbierung des Defizits durch Sparmaßnahmen von einem Anstieg der Arbeitslosigkeit von 9,3 auf 16% aus: Rezession wäre die Folge.

Die EU sollte ihren Beitrag deshalb lieber auf Steuerkooperation und das Einmahnen von strengerem Steuervollzug fokussieren: Jährlich gehen dem griechischen Fiskus geschätzte 30 - 40 Milliarden Euro an Steuereinnahmen bei den Vermögenderen wegen laxen Vollzugs verloren. Zum Vergleich: Um das Defizit auf den angepeilten Konsolidierungspfad zu drücken, wären 2010 zusätzliche Steuereinnahmen von nur 8 Milliarden Euro vonnöten - ohne jeden Sparschnitt. Auch könnten Steuermilliarden aus der Schweiz repatriiert werden: rund 17 Milliarden Euro Schwarzgeld aus Griechenland werden dort vermutet. Voraussetzung für gemeinsamen Druck auf die Schweiz zur Lüftung des Bankgeheimnisses ist jedoch die Steuerkooperation innerhalb der EU, die derzeit vor allem von Österreich und Luxemburg blockiert wird. Wenn die EU-Partner bei der Steuerkooperation genauso ehrgeizig wären wie beim Pensionskürzen und Einsparen, dann wäre das griechische Budget so gut wie saniert. (Schließlich könnte das Rating auf Staatsanleihen verboten werden, von dem wiederum die Banken auf Kosten der Steuerzahler profitieren.) Zu diesen Kooperationen sind die EU-Regierungen aber offenbar nicht bereit. Das könnte zum Zusammenbruch des Euros führen, wie einst der mangelnde Kooperationswille der USA das Bretton-Woods-System zerschellen ließ. (Christian Felber, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 30.03.2010)