Vatikanstadt - Im Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche gibt es neue Vorwürfe gegen Papst Benedikt XVI.. Wie die Zeitung "New York Times" am Mittwoch unter Berufung auf Kirchenakten berichtete, hat der damalige Kardinal Joseph Ratzinger in den 1990er Jahren nichts gegen einen Priester unternommen, der in den USA mutmaßlich bis zu 200 gehörlose männliche Jugendliche missbraucht hatte. Der Vatikan wies den Vertuschungsvorwurf zurück.

Aus den bisher geheimen Dokumenten geht dem Bericht zufolge hervor, dass Ratzinger Ender der 1990er Jahre als Präfekt der Glaubenskongregation vom damaligen Erzbischof von Milwaukee über den Fall informiert wurde, doch darauf nicht reagierte. Zudem soll sich der betroffene Priester 1996 auch selbst in einem Brief an den späteren Papst gewandt haben.

Der Priester Lawrence Murphy hatte laut "New York Times" von 1950 bis 1974 in einer Schule für gehörlose Kinder im US-Bundesstaat Wisconsin gearbeitet. Nach den Missbrauchsvorwürfen sei er in eine andere Diözese versetzt worden, wo er aber weiter mit Kindern arbeiten durfte. Die Zeitung beruft sich auf Akten aus einem Prozess gegen die Erzdiözese Milwaukee, die von den Anwälten der fünf Missbrauchsopfer an die "New York Times" weitergegeben wurden.

Aus den Dokumenten geht dem Bericht zufolge hervor, dass drei Erzbischöfe nacheinander von dem Fall wussten, aber nie die Behörden einschalteten. Ein kircheninternes Verfahren gegen den Priester, der 1998 starb, wurde demnach auf Anweisung von Ratzingers damaligem Stellvertreter eingestellt. Murphy hatte laut "New York Times" in einem Brief an den späteren Papst um dessen "freundliche Unterstützung" gebeten. Er wolle die ihm verbleibende Zeit in der "Würde seines Priesteramtes" verbringen.

Der Vatikan wies die Darstellung zurück, dass Joseph Ratzinger in seiner früheren Funktion als Präfekt der vatikanischen Glaubenskongregation den Missbrauchsfall in der Erzdiözese Milwaukee "verheimlicht" habe. Vatikan-Sprecher Federico Lombardi sprach am Donnerstag von einem "tragischen" Fall, weil Murphy mit hörgeschädigten Kindern "besonders verletzliche Opfer" missbraucht habe. Der Vatikan sei aber erstmals Ende der 1990er Jahre über den Fall informiert worden, mehr als 20 Jahre nach einer ersten Meldung bei der Polizei. Die US-Behörden hätten schon in den 1970er Jahren gegen Murphy ermittelt, das Verfahren aber eingestellt.

Der Vatikan sei nur über den Fall informiert worden, weil mit ihm auch ein Verstoß gegen das Beichtgeheimnis verbunden gewesen sei, erklärte Lombardi. Es sei daher allein um eine kirchenrechtliche Frage gegangen und nicht um mögliche zivil- oder strafrechtliche Konsequenzen. Mit Blick auf das hohe Alter und die angeschlagene Gesundheit des Priesters habe die Glaubenskongregation dem Erzbischof von Milwaukee damals empfohlen, das religiöse Wirken Murphys einzuschränken und eine Übernahme der Verantwortung von ihm zu verlangen. (APA)