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In der Denisova-Höhle im Altai lebten noch vor 40.000 Jahren menschenartige Wesen, die uns genetisch sehr fremd waren.

Foto: AP Photo/Nature, Johannes Krause

Leipzig/Wien - Es ist nicht das erste Mal, dass die Geschichte der Menschheit neu geschrieben werden muss. Und es wird nicht das letzte Mal sein. Doch diesmal sind die Abweichungen vom bisherigen Lehrbuchtext erheblich. Revolutionär ist aber auch die Methode, wie die Entdeckung zustande kam: nämlich nicht durch Knochenfunde, sondern durch DNA-Analysen.

Entnommen wurde die Erbsubstanz einem auf rund 40.000 Jahre geschätzten Fingerknochen, den Paläontologen in der Denisova-Höhle im südsibirischen Altai-Gebirge fanden. Bislang ging man davon aus, dass vor 40.000 Jahren auf unserem Planeten nur mehr Neandertaler und Homo sapiens, also unsere eigenen Vorfahren, als Vertreter der Gattung Homo existierten.

Entsprechend irritiert war der deutsche Forscher Johannes Krause, wie ihm die Sequenziergeräte die Ergebnisse ausspuckten: Die sogenannte mitochondriale DNA (die sehr viel kleiner und übersichtlicher ist als die des Zellkerns) unterscheidet sich nicht nur völlig von der des Homo sapiens, also uns, sondern auch von der des Neandertalers.

Als der junge Forscher seinen Chef, den führenden Paläogenetiker Svante Pääbo, davon informierte, dachte der zunächst einmal, dass Kraus "mich auf den Arm nehmen will" . Doch weitere Analysen machten auch den Direktor des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig sicher, dass es sich um eine "neue Kreatur" handelt, "die wir nicht auf unserem Radar hatten" , so der Paläogenetiker.

Pääbo hat in den vergangenen Jahrzehnten die genetische Erforschung unserer Vorfahren revolutioniert und ist mit Kollegen gerade dabei, das gesamte Genom des Neandertalers zu entschlüsseln. Diese mehrjährigen Analysen schufen die technischen Voraussetzung für die verblüffende Entdeckung, über die das internationale Forscherteam unter Mitwirkung des jungen österreichischen Paläoanthropologen Bence Viola heute in "Nature" (online) berichtet.

Viel weiß man allerdings noch nicht über den rätselhaften Denisova-Menschen, der laut Viola womöglich eine Art von Homo heidelbergensis gewesen sein könnte. Aufgrund der DNA sei jedenfalls laut Pääbo davon auszugehen, dass der Unbekannte genetisch doppelt so weit von uns entfernt ist wie der Neandertaler und vor rund einer Million Jahren die letzten gemeinsamen Vorfahren mit uns teilte. Der Fingerknochen wiederum deute darauf hin, dass es sich um ein Mädchen handelte, sagt Viola. Die Forschern nennen den Denisova-Mensch entsprechend "X-Girl" .

Für ihn sei das "wirklich Spannende" , dass es ganz in der Nähe auch Neandertaler-Spuren gibt. "Womöglich haben vor 40.000 Jahren im Altai-Gebirge sowohl moderne Menschen als auch Neandertaler und Denisova-Menschen gelebt" , so Viola am Telefon aus Sibirien - wo er gerade nach weiteren Überresten des X-Girls fahndet. (Klaus Taschwer/DER STANDARD, Printausgabe, 25. 3. 2010)