Eine "digitale Vision" nennt Peter Weibel sein künstlerisches Forschungsprojekt namens Quantenkino. Es soll neue Blicke auf höherdimensionale Räume eröffnen und eine Visualisierung von schwer fassbaren Konzepten der Quantenphysik ermöglichen.

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Ornamentale Gebilde und kaleidoskopartige Bilder; Flächen, auf denen sich wie auf einem komplizierten Schnittmuster Linien, Kreise, Wellen und andere geometrischen Figuren überlagern; plastische 3-D-Grafiken mit sich dehnenden und wölbenden Räumen: Wenn man solche visuellen Kunststücke betrachtet, ahnt man kaum, dass sie dazu dienen, mathematische Formeln und Gleichungen zu veranschaulichen.

Äußerst komplex und abstrakt sind auch die Prinzipien der Quantenphysik: Genau diese mit künstlerischen Mitteln sichtbar zu machen und auf eine visuell fassbare Ebene zu transferieren, ist Ziel des vom Medienkünstler Peter Weibel geleiteten Projekts "Quantenkino". Es ist eines von sieben Projekten, die bei der ersten Ausschreibung des Förderprogramms Peek (Programm zur Entwicklung und Erschließung der Künste, siehe Wissen) den Zuschlag bekamen.

"Künstler sind gewohnt, räumlich zu denken", sagt Weibel, der selbst Mathematik studierte und heute unter anderem das Institut für Medientheorie an der Universität für angewandte Kunst leitet. "Seit den 1920er-Jahren ist insbesondere die abstrakte Skulptur von mehrdimensionalen Raumvorstellungen und mathematisierten Räumen beeinflusst."

Gemeinsam mit einem Team aus Künstlern, Mathematikern, Physikern und Programmierern will sich Weibel nun mithilfe digitaler Medientechnologien der Frage annähern, wie abstrakte, höherdimensionale Konzepte, wie sie zur Beschreibung von Phänomenen in der Quantenphysik angewendet werden, dem Auge zugänglich gemacht werden können. Bekannte Teilchen wie Photonen und Elektronen, aber auch hypothetische Partikel wie Bosonen, Gluonen und schwarze Materie als mögliche Bausteine des Universums sollen dabei abgebildet werden, genauso wie Quantenzustände und andere Geschehnisse, die sich in einem unsichtbaren Mikrokosmos abspielen.

"Die Visualisierung kann dabei helfen, konkurrierende Theorien der Quantenphysik zu entscheiden", erhofft sich Peter Weibel auch einen wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn durch das Quantenkino. "Wir orientieren uns an der theoretischen Physik und werden uns schrittweise von der ersten Dimension zu höherdimensionalen Räumen und Elementen in Rotation und Schwingung vorarbeiten", schildert Projektmitarbeiterin Renate Quehenberger. Dazu müssen Techniken gefunden werden, die eine Darstellung in digitaler 3-D-Animation ermöglichen. Ergebnis des auf drei Jahre angelegte Projekts, das mit 255.000 Euro dotiert wurde, soll schließlich ein Film sein.

Virtuelle Augen

Darüber hinaus will Weibel die Grenzen der Raumwahrnehmung ausloten und das Kino "mithilfe mathematischer Modelle für die nächsten 100 Jahre vorantreiben". Das Publikum könnte künftig selbst in mehrdimensionale Räume einsteigen, sie steuern und mit virtuellen Augen neue Ansichten gewinnen, schwebt ihm vor. Dass die Umsetzung des Projekts, das außerdem die alte Tradition einer Überschneidung von Kunst und Wissenschaft wieder belebe, durch ein Förderprogramm zur künstlerischen Grundlagenforschung möglich ist, bezeichnet Weibel als "Durchbruch".

Künstler hätten nur sehr selten die Möglichkeit zur Grundlagenforschung, um sich ganz grundsätzlich und mit einem theoretischen Anspruch mit einer Themenstellungen zu beschäftigen, begrüßt auch die Architektin Sandrine von Klot vom Studiengang Space&Design Strategies Research der Kunst-Uni Linz das Programm. Das von ihr geleitete Peek-Projekt "Public Space 2.0" hat ebenfalls neue Raumkonzepte im Visier, allerdings im öffentlichen Raum. In den kommenden zwei Jahren wird sich ein Team aus Designern, Architekten und Technikern der Frage widmen, wie die Gestaltung von öffentlichen Räumen durch jene Praktiken profitieren könnte, die sich in den vergangenen Jahren in den sozialen Plattformen im Internet etabliert haben.

"Vorstellbar ist zum Beispiel, dass die User mithilfe elektronischer Gadgets genauso im öffentlichen Raum kommunizieren oder sich organisieren wie auf offenen Webplattformen", sagt von Klot. Partizipation und maßgeschneiderte Angebote für User könnten künftig auch ins öffentliche Leben übertragen werden, was ganz neue Anforderungen an Design und Technologie nach sich zieht. Die möglichen Strategien und Gestaltungsansprüche sollen in ein Handbuch einfließen.

Daneben stehen fünf weitere interdisziplinäre Peek-Projekte am Start und werden weitere Fragen der künstlerischen Forschung stellen – und nach neuen Antworten suchen. (Karin Krichmayr/DER STANDARD, Printausgabe, 24.3.2010)

Wissen

Kunst und Forschung

Das Programm zur Entwicklung und Erschließung der Künste (Peek) wurde 2009 auf Initiative des Wissenschaftsministeriums erstmals ausgerufen, um auch den Kunstuniversitäten eine Förderung durch den Wissenschaftsfonds FWF zu ermöglichen und die Forschungskompetenz im hierzulande bisher wenig beachteten Bereich "arts-based research" zu erhöhen. 63 Anträge wurden eingereicht, sieben von einem internationalen Board ausgewählt.

Bis zum 12. Mai läuft nun die zweite Ausschreibung – rund 1,5 Millionen Euro stehen wieder zur Verfügung. Die Verbindung von Kunst und Forschung unterstützt zudem der Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds WWTF. In zwei Art(s) & Sciences-Calls wurden zehn Projekte und drei Fellowships gefördert. (kri/DER STANDARD, Printausgabe, 24.3.2010)