Wien - Was bedeutet "ziviler Protest und Kunst als Medium"? Darüber diskutierten am Donnerstag im Wiener Stadtkino unter der Leitung des Hausherrn Claus Philipp die Kuratorin Cathrin Pichler, Verleger Christian Reder, der ehemalige Standard-Chefredakteur Gerfried Sperl, der Rektor der Universität für Angewandte Kunst, Gerald Bast, und Regisseur Paul Poet.

Anlass war die Präsentation eines Buches über die im Jahr 2000 entstandene Initiative TransAct. Autor Roman Berka eröffnete die kontroversielle Diskussion mit einer Rückblende auf die Wende in Österreich im Jahr 2000. Der unabhängige Kunstverein museum in progress publizierte als kritische Bestandsaufnahme 70 Arbeiten renommierter Künstler im Standard.

Ziviler Ungehorsam

Cathrin Pichler rekapitulierte die Genese des Projektes, das als Reaktion auf den "Betrug in Bezug auf demokratisch-parlamentarische Entscheidungen", als Widerstand gegenüber der "Koalition der Verlierer" entstanden war. Und sie stellte fest, dass seither in der ganzen Welt allein in technischer Hinsicht eine enorme Modernisierung stattgefunden habe, "ungleichzeitig zur gesellschaftlichen Entwicklung in Österreich. Ungleichzeitig im Sinne von ‚zurückgeblieben‘."

Auch Christian Reder ortete eine fatale stillschweigende Gesellschaftsveränderung. Ihn ärgere, dass wegen des Neoliberalismus eine "Debatte des Bürgerlichen" oder auch ein Terminus wie Liberalität nur mehr negativ besetzt sei.

Gerfried Sperl räumte ein, dass es anfangs auch innerhalb der Standard-Redaktion teilweise Ressentiments gegenüber museum in progress gegeben habe. Im Kontext des Jahres 2000 aber war diese Art der intellektuellen Positionierung unbestritten.

"Als Zeitung haben wir in der ‚Waldheimat‘ viel in Gang gesetzt - diese künstlerischen Interventionen haben die Zeitung bewegt." Sperl appellierte an den Geist des im letzten Jahr verstorbenen Joseph Ortner: Es sei wichtig, "Neues in der Zukunft zu initiieren, um den Heimatfaschismus in die Schranken zu weisen. Die ideologischen Konstruktionen von Schwarz-Blau stellen heute noch eine Art Imprimatur dar." Beispiele seien die aktuelle Asylpolitik oder Präsidentschaftskandidatin Rosenkranz.

Sperl forderte die Künstler auf, den "Raum der Zeitung wie auch der Online-Zeitung neu zu beleben, zu interpretieren." "Das Gift von damals ist heute Alltag im Uni-Betrieb" bestätigte Gerald Bast und illustrierte dies mit der unwidersprochenen Akzeptanz, "Universitäten nach Regeln einer Konservenfabrik" , also nach Effizienz und Utilitarismus auszurichten.

Moralische Integrität

Etwas, das Paul Poet, dessen Film Ausländer raus! Schlingensiefs Container als Abschluss der Veranstaltung gezeigt wurde, unterstrich. Um ein "soziales Herz innerhalb der Konfusion von rechts und links" sichtbar zu machen, habe die Festwochen-Provokation damals bei Bevölkerung und Medien die zu erwartende irritierende "Projektion des Bösen" ausgelöst.

Pichler und Sperl erinnerten auch an "Überläufer", die sich rasch mit den "neuen Machthabern arrangierten" , nicht zuletzt weil sie den existenzbedrohenden Entzug von Sponsorgeldern fürchteten. Angesichts des heute latenten Alltagsfaschismus hielt Sperl ein eindringliches Plädoyer für die Wachsamkeit.

Es herrschte Konsens darüber, dass Kunst nicht nur der Ästhetisierung dient, sondern dezidiert die Aufgabe hat, Stellung zu beziehen. Im Sinne gesellschaftlicher Verantwortung und moralischer Integrität, abseits der Musealisierung des Alltäglichen muss Kunst als Agent Provocateur des sozialen Gewissens in der Öffentlichkeit präsent sein: wider Populismus und Intoleranz. (Gregor Auenhammer, DER STANDARD/Printausgabe, 20./21.03.2010)